Autor Thema: Vor dem Sport - wie lange vorher Basalrate senken  (Gelesen 13847 mal)

Offline Floh

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Vor dem Sport - wie lange vorher Basalrate senken
« am: Dezember 11, 2013, 09:15 »
Vorwort 1: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das Thema hier her passt, oder vielleicht bei den Pumpen besser aufgehoben wäre. Eigentlich bin ich aber mehr an den bio(-chemischen?) Zusammenhänge interessiert. Und vielleicht kann's ja der eine oder andere auch ohne Pumpe spannend finden.

Vorwort 2: Warum die blöde Frage? Ich habe erst seit einem halben Jahr meine Pumpe und muss noch üben. Ich betreibe zwei Formen von "Sport" (das muss in Anführungszeichen) - das eine sind lange Radtouren (>200 km), das andere ist der Weg zur Arbeit. Der Weg zur Arbeit ist schwerer unter Kontrolle zu bekommen. Und ist viel unregelmäßiger, weil die Ampeln machen was sie wollen. Da soll jetzt auch meine Frage einhaken.

Hintergrund:

Morgens zur Arbeit senke ich typischerweise die (relativ) hohe Basalrate nicht ab, sondern verändere den Mahlzeitenbolus. Ich kann ohne Frühstück in die Arbeit fahren, mag das aber nicht. Das bedeutet typischerweise einen Mahlzeitenbolus von 50% (bei mir BE-Faktor 1,4 morgens) und ein Frühstück von 5BE. Mit voller Basalrate bedeutet dass einen vernünftigen Verlauf: BZ vor dem Frühstück ~100mg/dl, Abfahrt ca. 1,5h nach dem Bolus/Frühstücksbeginn (also im vollen Bolus - das ist irgendwie blöd) -> ich komme mit einem BZ von ca. 150 mg/dl an der Arbeit an und er sinkt noch ein wenig weiter.

Basalrate morgens:
5-6 1,25
6-7 1,50
7-8 0,84
8-9 0,48
Abfahrtzeit normalerweise um 7.30

Abends esse ich normalerweise kein "Frühstück" (also eine volle Mahlzeit) vor der Abfahrt. Passt erstens nicht in meinen Diätplan, zweitens versaut mir da ein laufender Bolus jeden Versuch eines kontrollierten Blutzuckers. Startblutzucker ist auf 200mg/dl geplant (und normalerweise bedeutet das, dass ich mir noch ein Glas Cola vor der Abfahrt gönnen darf, weil ich nachmittags natürlich keinen kontinuierlich steigenden BZ will).

Hier reduziere ich (mit mäßigem Erfolg) die Basalrate. Derzeit auf -60% (weil es ist nur mäßig kalt und im Winter muss ich weiter runter).

Basalrate
14-15 0,6
15-16 0,6
16-17 0,7
17-18 0,75
Abfahrtzeit normalerweise um 17.00 bis 17.30.

So ... und nun zum Teil der Frage, der das Ganze ausgelöst hat (das alles bisher war nur Vorgeschwafel - 'schuldigung):

Wieviel vorher ist denn nun die Reduktion der Basalrate sinnvoll und notwendig. Das verwendete Insulin ist Humalog (also ein Analoginsulin), und den meisten Abschätzungen entnehme ich "Analoginsulin 30 Minuten vor Sport absenken". Aber ist so etwas nicht dosisabhängig? Und ist damit die Morgenbasalrate (die ja zum Zeitpunkt der Aktivität fast doppelt so hoch sein kann) nicht im Zweifel früher abzusenken?

Oder sind die Basalratendosen praktisch unabhängig von der Basalrate einfach so klein (weil eine Pumpe toll ist), dass das keine Rolle mehr spielt und die 30 Minuten in allen Fällen ausreichen?

Offline Andreas

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Re: Vor dem Sport - wie lange vorher Basalrate senken
« Antwort #1 am: Dezember 11, 2013, 09:31 »
30 Minuten vor dem Sport sind mir zu wenig, da merke ich von der Absenkung nichts. "Normale" Absenkungen, das sind Absenkungen um 30-60% mache ich mindestens 1, maximal bis zu 2 Stunden früher, damit die wirken.

Eine Alternative für kurzfristige Absenkung ist folgende, mit der ich beste Erfahrungen mache:
45 Minuten vorher: Absenkung um 90% auf 10%
Mit Sportbeginn: Absenkung auf 40-70% (je nach Tageszeit, Bolusabstand usw.)

Mit dieser Alternative kommt man dem Basalverlauf eines "Gesunden" relativ nahe. Bei dem fällt der Insulinspiegel in den ersten Minuten des Sports massiv ab und löst all das aus, was zum Sport nötig ist: Freisetzung von Glucose durch die Leber und effektiverer Fettstoffwechsel.
Eine gute Diabetes-Therapie muss einfach sein.


Offline Floh

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Re: Vor dem Sport - wie lange vorher Basalrate senken
« Antwort #2 am: Dezember 11, 2013, 10:27 »
Danke Andreas. Diese Absenkung hatte ich mir aus einem anderen Faden schon irgendwo niedergeschrieben (offenbar nicht auf diesem Rechner *seufz*).

Verständnisfrage: Ich gehe davon aus, dass dein Profil sinnvoll wirkt. Wenn ich einfach mal die "1 Stunde" überschlägig annehme bedeutet das Profil doch folgendes:

45 Minuten vor Sport Basalrate auf 10%. --> Bis Sportbeginn (und 15 Minuten in den Sport hinein) wirkt noch die 100%ige normale Basalrate. 15 Minuten nach Beginn sinkt das vorhandene (und wirksame) Insulin stark ab. Dieser Zustand hält für 45 Minuten an (also bis 1h nach Sportbeginn).

Mit Sportbeginn Basalrate auf 50% (nur um einen Wert zu nehmen). --> 1h nach Sportbeginn steigt die Basalrate von 10% auf 50% an.

So ein Profil verwende ich auch für längere Aktivitäten, wobei dort die starke Absenkung vor Beginn meiner Ansicht nach eher geeignet ist um sicher "Restbolus" zu verbrauchen. Ich würde das am Nachmittag, wo schon länger kein Bolus mehr läuft zum Beispiel nicht ganz so dramatisch absenken.

Mein "Sport" (also der Weg nach Hause) dauert aber eher nur 30 Minuten. Ich müsste also die Basalrate (wenn 1h stimmt) sicher 1h vor dem Sport senken und dann bereits eine halbe Stunde vor dem Sport wieder anheben. Oder mache ich da einen grundsätzlichen Fehler?

Offline Andreas

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Re: Vor dem Sport - wie lange vorher Basalrate senken
« Antwort #3 am: Dezember 11, 2013, 11:51 »
Im Grunde sehe ich das ähnlich. Aber: Eingriffe in die Basalrate nehme ich nur vor, wenn die Belastungsdauer länger als eine Stunde ist. Ansonsten "lohnt" sich der Eingriff in meinen Augen nicht ...
Hinsichtlich der Insulinwirkung hast Du, glaube ich, etwas überspitzt formuliert. Selbstverständlich sinkt der Insulinspiegel auch schon vor dem Sport, mit dem Sport aber etwas schneller, in etwa umgekehrt zur Wirkkurve des Insulins. Wobei ich bei Humalog von mindestens 3-4 Stunden Wirkdauer bei mir ausgehe.
Eine gute Diabetes-Therapie muss einfach sein.


Offline Floh

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Re: Vor dem Sport - wie lange vorher Basalrate senken
« Antwort #4 am: Dezember 11, 2013, 21:21 »
mit dem Sport aber etwas schneller

Das hatte ich völlig übersehen. Mit Sportbeginn wird auch Insulin besser "abgebaut", weil besser durchblutet etc. Danke.

Noch mal zur Originalfrage zurück: Spielt die Dosis der Basalrate überhaupt eine Rolle?

Die 3-4 Stunden Wirkdauer sind ja eher Bolusrelevant (und da sicher Mengenabhängig). Die Basalrate wird aber ja alle 5 Minuten (stimmt das?) abgegeben, also irgendwie (0,6 I.E. / 12) pro Dosis = 0,05 I.E. pro Pumpvorgang.

Da (hoffe ich) ist die Aufnahme und der Abbau schneller als in 3-4 Stunden. Oder traue ich da meinem Körper mal wieder zu viel zu?

Offline ariola

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Re: Vor dem Sport - wie lange vorher Basalrate senken
« Antwort #5 am: Dezember 16, 2013, 11:54 »
Hallo Floh,

...
Noch mal zur Originalfrage zurück: Spielt die Dosis der Basalrate überhaupt eine Rolle?

Die 3-4 Stunden Wirkdauer sind ja eher Bolusrelevant (und da sicher Mengenabhängig). Die Basalrate wird aber ja alle 5 Minuten (stimmt das?) abgegeben, also irgendwie (0,6 I.E. / 12) pro Dosis = 0,05 I.E. pro Pumpvorgang.

Da (hoffe ich) ist die Aufnahme und der Abbau schneller als in 3-4 Stunden. Oder traue ich da meinem Körper mal wieder zu viel zu?

Bei schnell wirkenden Insulinen geht man davon aus, dass bei einem Bolus von 5 iE nach 2,5 h ca. 90% des Insulins resorbiert sind.
Für die Hälfte der Dosis wird die Hälfte der Zeit benötigt -> 2,5 iE sind nach 1,25h zu 90% resorbiert, das kannst du weiter runter rechnen bis zu deiner Dosis pro Pumpvorgang:
1,25 iE ~ 0,63h
0,63 iE ~ 0,32h
0,32 iE ~ 0,16h
0,16 iE ~ 0,08h
0,08 iE ~ 0,04h = 2,4 min
0,04 iE ~ 0,02h = 1,2 min

Also ist deine Einzeldosis nach 1,2 min resorbiert, dh im Blutkreislauf. Für die Wirkzeit des Insulins müsstest du jetzt noch die Zeiten für den Transport an den Zielort hinzuaddieren, d.h die Zeit des Transportes durch die Blutgefäße, durchs Zwischenzellwasser und in die Zelle plus Wirkzeit in der Zelle. Diese Werte sind zum Teil von der persönlichen Konstitution und der Genetik abhängig, die sollte bei dir aber anähernd konstant sein ;-)

LG
Ariola

p.s die Roche gibt alle 3 min eine Dosis ab, ob Animas und Medtronic auch alle 3 min abgeben weiß ich nicht, spielt aber für die Aussage nur eine untergordnete Rolle.


Offline Adrian

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Re: Vor dem Sport - wie lange vorher Basalrate senken
« Antwort #6 am: Dezember 16, 2013, 13:56 »
Ariola, diese Formel funktioniert bei Basalraten nicht. Die Dosis ist schon zu extrem.

Es mag vielleicht eine gute Begründung sein, warum es für das Basalinsulin irrelevant ist, ob man Normalinsulin oder schnelles Analogon in der Pumpe hat, aber als Modell für "Basalrate aus Minibolices" ist es eher ungeeignet. Andere Anteile wie z.B. die Halbwertzeit von Insulin im Blut/Zwischenzellwasser; Postrezeptorwirkung, ... haben bei so geringen Dosen schon deutlich mehr Gewicht.

lg
Adrian
Cozmo mit Humalog 

Offline Floh

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Re: Vor dem Sport - wie lange vorher Basalrate senken
« Antwort #7 am: Dezember 16, 2013, 18:06 »
Danke euch beiden - ich komme dem Ganzen näher, glaube ich.

Gibt es denn Richtwerte für die Halbwertzeit von Insulin im Blut/Zwischenzellwasser; Postrezeptorwirkung, ... - und was sind die gemeinen Pünktchen? :)

Und ich bin ja ganz froh, dass Ariolas Formel nicht beliebig weit runterbrechbar ist. Weil:

0,08 iE ~ 0,04h = 2,4 min
0,04 iE ~ 0,02h = 1,2 min


Meine Dosis von 0,03 IE pro 3 Minuten ja dann irgendwie bedeuten würde, dass ich typischerweise 2 von 3 Minuten ohne Basalversorgung dastünde. Das kann also zum Glück so nicht ganz passen.

Offline Adrian

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Re: Vor dem Sport - wie lange vorher Basalrate senken
« Antwort #8 am: Dezember 16, 2013, 18:59 »
Danke euch beiden - ich komme dem Ganzen näher, glaube ich.

Gibt es denn Richtwerte für die Halbwertzeit von Insulin im Blut/Zwischenzellwasser;
Wenn ich mich richtig erinnere 5-6 Minuten.
Zitat

Postrezeptorwirkung,
Insulin senkt ja nicht den Blutzucker, sondern dockt an Rezeptorern an und setzt damit eine Reaktion in Gang, die Glucosetransporter in der Zellwand bildet. Diese haben auch eine Halbwertzeit von ca. 20 Minuten.
Der BZ wird also gesenkt, wenn das Schuldige Insulin schon lange nicht mehr im Blut ist.
Muskelzellen sind dafür bekannt unter Belastung deutlich mehr Glucosetransporter zu produzieren, wenn ein Insulinteilchen andockt. Das ist ein Grund, warum bei Bewegung der BZ eher fällt.

Zitat
... - und was sind die gemeinen Pünktchen? :)
Insulin wirkt an vielen Stellen im Körper und ständig findet man neue.
Bei meiner letzten Schulung waren es schon 36 bekannte stellen. Z.B. am Zellkern. So wird z.B. die Glucokinase-Produktion angeregt. Glucokinase ist ein Katalysator, der dazu benötigt wird, dass Zellen überhaupt erst Glucose verarbeiten können. Sonst schwimmt Glucose durch einen Glucosetransporter in die Zelle und durch den nächsten einfach wieder heraus, und der BZ bleibt hoch. Das dies nicht gut funktioniert ist z.B. das Problem von MODY-II-Diabetikern.
Zitat


Und ich bin ja ganz froh, dass Ariolas Formel nicht beliebig weit runterbrechbar ist. Weil:

0,08 iE ~ 0,04h = 2,4 min
0,04 iE ~ 0,02h = 1,2 min


Meine Dosis von 0,03 IE pro 3 Minuten ja dann irgendwie bedeuten würde, dass ich typischerweise 2 von 3 Minuten ohne Basalversorgung dastünde. Das kann also zum Glück so nicht ganz passen.
Cozmo mit Humalog 

Offline Joa

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Re: Vor dem Sport - wie lange vorher Basalrate senken
« Antwort #9 am: Dezember 17, 2013, 23:33 »
Hallo zusammen,

ein paar Ergänzungsgedanken ...
 
... BR-Absenkungen ...

Hierzu der Hinweis auf das Vorgehen, nach einer BR-Absenkung und nach der Beendigung der sportlichen Aktivitäten einen Bolus mit KH-Zuführung zu geben, damit einerseits sich das Basalniveau möglichst flott wieder normalisieren kann und andererseits die Zellen aus dem KH Angebot dann auch schon mal verbrauchte  Glykogenvorräte auffrischen können.

Bei schnell wirkenden Insulinen geht man davon aus, dass bei einem Bolus von 5 iE nach 2,5 h ca. 90% des Insulins resorbiert sind.
Für die Hälfte der Dosis wird die Hälfte der Zeit benötigt -> 2,5 iE sind nach 1,25h zu 90% resorbiert

Soweit ich entsinne war die Faustformel: Dosis x 3 = Wirkdauer x 2.
Demnach wäre die Tabelle zur Resorption:

__IE_____ Minuten
5,000   =   120
1,667   =   60
0,556   =   30
0,185   =   15
0,062   =   7,5
0,021   =   3,75
0,007   =   1,875
0,002   =   0,9375
0,001   =   0,46875

Das sollte aber in der hier geführten Diskussion keine wirkliche Geige spielen.  :zwinker:

Glucokinase ist ein Katalysator, der dazu benötigt wird, dass Zellen überhaupt erst Glucose verarbeiten können. Sonst schwimmt Glucose durch einen Glucosetransporter in die Zelle und durch den nächsten einfach wieder heraus, und der BZ bleibt hoch.

Grundsätzlich geben Muskelzellen einmal eingeschleuste Glucose nicht wieder her. Egal ob die verwertet wird oder nicht.
Im Ergebnis kommt der Glucosetransport in die Zelle dann aber wohl auch zum Erliegen.
Allerdings gibt es neuere Forschungsergebnisse, dass Muskelzellen bei (basalem) Insulinmangel auch in der Lage sind, freigemachtes Glykogen als Glucose abzugeben. Bedingung ist aber der Insulinmangel.
Hier könnte bei intensiver körperlicher Arbeit (Ausdauersport) vlt. ein positiver Effekt in dem Sinne zu vermuten sein, dass nicht beanspruchte Muskelgruppen ggf. einen Teil ihres Glykogens als Glucose auch den intensiv beanspruchten Muskelgruppen verfügbar machen können. Wozu evtl. eine ausreichende Absenkung des Basalinsulins vor Sport beitragen könnte. Das ist jetzt aber auch ein Bisschen scholastisch gesehen.  :gruebeln:

Und ich bin ja ganz froh, dass Ariolas Formel nicht beliebig weit runterbrechbar ist. Weil:
... Meine Dosis von 0,03 IE pro 3 Minuten ja dann irgendwie bedeuten würde, dass ich typischerweise 2 von 3 Minuten ohne Basalversorgung dastünde.

1.) Die Formel betrifft die Resorptionszeiten, nicht die (Aus-)Wirkungszeiten.
2.) Ist das wie im realen Leben. Die Betazellen geben das Insulin auch in Einzelspots alle 3 Minuten ab. Eine Resorptionszeit hat dieses Insulin nicht.

Gruß
Joa
Typ 1 seit 85;  Pumpe seit 1988; P 754/Apidra