Mal ganz abgesehen davon daß die meisten Medien eh keine Ahnung haben und ständig alle Diabetiker in einen Topf stecken:
man liest dort nicht selten, daß Diabetiker ihre Krankheit ja selber verschuldet haben und daß sie ohne Medikamente auskämen, wenn sie nur ihren Lebensstil entsprechend anpassen würden, sprich "Mehr Sport, gesünder ernähren".
Ist das so?Die Antwort darauf ist ein klares:
JEIN!Punkt 1: "Diabetiker ist Diabetiker"Dumme Verallgemeinerung: Diabetes gibt es in verschiedenen Stufen. Diabetes insipidus oder - renalis hat z.B. mit dem Diabetes mellitus nur gemein, daß übergroße Mengen Urin ausgeschiden werden. Beim mellitus (und nur bei dem) ist er stark zuckerhaltig. Die anderen beiden haben ein Problem mit der Rückresorption (beim Gesunden werden ca. 160-180 Liter Primärharn pro Tag gebildet. Das meiste davon (bis auf ca. 2 Liter) wird rücksorbiert). Und beim DM gibt es auch noch verschiedene Typen, die eben
nicht mit verschiedenen Schweregraden gleichgesetzt werden können. Die Typen sagen aus, auf welche Weise der DM enstanden ist. Ca. 95% aller Diabetiker sind vom Typ 2
Punkt 2: "Der dicke faule Typ 2er"Dumme Verallgemeinerung: Es gibt auch normgewichtige "faule" 2er. Es gibt auch normgewichtige sportliche 2er. Es gibt auch übergewichtige sportliche 2er. Und es gibt auch übergewichtige "faule" 2er. (Was es damit auf sich hat siehe unten). 4 verschiedene Menschen, von denen nur einer mit dieser Pauschalaussage gemeint ist. Aber: wenn ich in der Zeitung lese "Jörg ist doof" muß ich mich nicht aufregen. Es gibt viele Jörgs. Ich muß mich auch nicht aufregen wenn ich "Jörg Möller" oder "Jörg Möller aus Gelsenkirchen" lese. Auch da bin ich nicht unbedingt gemeint. Aufregen
könnte ich mich, wenn ich ganz speziell angesprochen werde. Aber warum? Warum sollte ich mich über das definieren, was irgendein anonymer Schreiberling behauptet? Ich und die Menschen die mir nahestehen wissen, daß das Blödsinn ist. Und was Lieschen Müller in Buxtehude über mich denkt ist ihre Sache, nicht meine.
Punkt 3: "Selbst schuld"Zeugnis von Unwissenheit: Diabetes entsteht nicht wenn man Zucker ißt. Auch nicht wenn man sich nicht bewegt oder übergewichtig ist. Jedenfalls nicht allein. Ohne die genetische Prädisposition (~Grundanlagen im Erbgut) passiert da rein gar nichts. Funken allein machen keine Explosion. Staub alleine auch nicht. Aber Staub in der richtigen Konzentration und ein Funke =
Bumm!Vielleicht hab ich ja nicht aufgepasst, aber an ein Beratungsgespräch vor meiner Geburt á la "Welche Gene hätten's denn gern" kann ich mich nicht erinnern.
Und die Sache mit der Ernährung? Wie gesagt: es gibt auch normgewichtige 2er. Und es gibt stark übergewichtige, die keinen DM2 haben.
Und überhaupt: es gibt Länder, in denen geröstete Ameisen als Delikatesse gelten
Die würden vielleicht genauso über eins meiner Lieblingsgerichte "Käsebrötchen mit Erdbeermarmelade" denken. Die sind eben in einem Kreis aufgewachsen, in dem Ameisen als lecker gelten und ich in einem, in dem KäBröMa als lecker gilt. Wir ernähren uns so, wie wir es von klein auf gewohnt sind. Bei mir gab es früher zur Belohnung ein Eis oder ein Stück Schokolade. Dann hab ich mich wohl gefühlt. Jeder fühlt sich wohl wenn er belohnt wird.
Das Ergebnis nennt man auch "klassisches konditionieren": erst war die Belohnung, dann die Süßigkeit, dann das gute Gefühl. Später, wenn die Konditionierung "sitzt" kann man das auch umdrehen: Süßigkeit, also fühlt man sich belohnt und damit gut. Ich fühle mich gerne "gut", also belohne ich mich heute hin und wieder selbst.
Punkt 4: "Lebensstiländerung = ohne Medikamente auskommen"Auch hier ein klares JEIN! Ein verunglücktes Huhn kann man noch retten, wenn man es zum Tierarzt bringt. Allerdings stehen die Karten dafür äußerst schlecht, wenn man es vom Spieß bei Kentucky Fried Chicken "gerettet" hat. Beim DM ist das nicht anders: wenn die Betazellen erstmal ordentlich "angegrillt" wurden ist da nix mehr zu machen.
Greift man rechtzeitig ein klappt das, sieht man ja an unserem Martin. Da aber niemand den Grillzustand der Betas wirklich beurteilen kann ist das auch so ein bißchen Glücksspiel. Allerdings mit so großen Erfolgschancen, daß es sich lohnt einen Einsatz zu wagen.
Aber gehen wir mal davon aus, daß bei einem Gewinn von einer Million Euro die Chancen bei 5:1 stehen. Man müßte ja blöd sein, wenn man da den Einsatz von 10 Euro nicht wagt! Oder?
Was ist aber mit denen, die nur 5 Euro haben? Ich hab oben von klassischem Konditionieren gesprochen. Das ist wie so eine Art Programmierung. Je tiefer die sitzt und je länger die besteht, desto schwerer ist es die wieder umzuprogrammieren.
Die Lebensstiländerung, von der hier die Rede ist ist keine Sache von ein paar Tagen/Wochen/Monaten. Die gilt für den Rest des Lebens! Sollte sie zumindest, um erfolgreich zu sein.
Das Leben besteht aber nicht nur aus Körper und Geist. Die Seele hat da auch einen enormen Einfluß. Und wenn die nicht mitspielt ist das wie ein Bremsklotz. Bei dem einen kleiner und wirkt nur ein bißchen bremsend, bei dem anderen größer und wirkt enorm bremsend. Sowas nimmt man sich aber nicht weil es einem Spaß macht.
Ganz gewiß nicht!Und dieser Bremsklotz wirkt sich bei den einen eben als Eßstörung aus (<-Rechtschreibreformverweigerer), und bei dem anderen in einer mehr oder weniger ausgeprägten Soziophobie (=Angst vor anderen Menschen), die bis zu Agoraphobie (=Angst aus dem Haus zu gehen). Einige sind auch von beidem betroffen. (Ich z.B., obwohl ich meine Soziophobie mittlerweile ganz gut im Griff habe. Aber je länger ich von zu Hause weg bin, desto unwohler fühle ich mich. Und meine Eßstörung ändert sich auch so gaaaanz laaaaangsaaam).
Ich kann also die "Wespen" ganz gut verstehen, die hier im Forum hochgehen wie HB-Männchen, wenn sie sich einer Verallgemeinerung gegenüber sehen.
Aber die sollten auch wissen, daß ich das weiß. Und wenn man weiß, warum ein Wespennest so reagiert wie es das nunmal tut, wenn man ihm zu nahe kommt, dann wird man auch bemüht sein es zu schützen.
Nur sieht meine Vorstellung von "Schutz" nicht so aus, daß ich jedem gleich eins hinter die Löffel gebe wenn er dem Nest zu nahe kommt, sondern eher so, daß ich ihn darüber aufkläre. Jemandem zu sagen "Das darfst du nicht tun!" ist Bevormundung, um eine Machtposition zu sichern. Jemandem zu sagen "Das solltest du nicht tun weil..." ist Aufklärung, die den Anderen in die Lage versetzt in Zukunft selbst darauf zu achten und dieses Wissen weiterzugeben.
Ich denke was unser Forum auszeichnet ist nicht die Tatsache daß wir hier versuchen anderen bei ihren DM-Problemen zu helfen, sondern daß wir sie mit Wissen versorgen, sich zukünftig selbst zu helfen. Und das sollten wir auch auf andere Bereiche übertragen. Oder es zumindest versuchen.
Ihr könnt ja mal versuchen durch eine Tür zu gehen, die ein anderer vor euch zugeschlagen hat. Wenn mich jemand anpflaumt, als Depp oder Hetzer bezeichnet, dann sinkt meine Bereitschaft dem noch weiter zuzuhören ganz dramatisch gegen Null. Und am Ende ist der sauer, ich bin sauer und wir sind nicht einen Schritt weitergekommen. Das empfinde ich als Zeitverschwendung und dafür ist das Leben zu kurz.
Man ist also gut beraten, sich - bevor man lospoltert - die Frage zu stellen "Warum will ich dem jetzt den Hals umdrehen?"
Die Aussage "Das was du da jetzt sagst verletzt mich weil..." ist jedenfalls deutlch besser geeignet eine Tür zu öffen als "Du Vollidiot hast ja nun rein gar nix kapiert".