Autor Thema: WAS GENAU ist an pp-Werten über 180 (160) gefährlich?  (Gelesen 26219 mal)

Offline Susanne

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LIIIEBER Erklärbär....  ;)

kannste das nochmal hier ganz genau erklären?

sooo viele Leute fragen mich immer wieder danach... und wollen wissen ob ds überhaupt stimmt...und ab wann man sich darüber den Kopf zerbrechen sollte....und ich kann das sicher nicht so hübsch erzählen wie Du....  so mit Postrezeptor-Wasserhahn-Signaltrandukt-Sprudeldings   :zwinker:... aber wenn du es hier erklärst, dann brauch ich denen allen nur mehr die Adresse des Forums geben.... 

Danke!

Susanne
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Offline Joerg Moeller

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Re: WAS GENAU ist an pp-Werten über 180 (160) gefährlich?
« Antwort #1 am: März 07, 2008, 13:02 »
Das ist eine gute Frage!

Viele Diabetiker glauben ja, wenn ihr Langzeitwert, also das HbA1c gut ist, dann reicht das schon. Immerhin haben Untersuchungen gezeigt, daß je besser dieser Langzeitwert ist, umso geringer ist auch das Risiko Spätschäden zu entwickeln.

Aber dazu muss man sich mal ansehen, wie dieses HbA1c eigentlich entsteht: wenn der Blutzucker längere Zeit zu hoch ist, dann bilden sich Glucoseablagerungen am roten Blutfarbstoff, dem Hämoglobin. Das ist das HbA1c. Der Arzt sagt dazu "das glykierte Hämoglobin", und weil das so ein Zungenbrecher ist hat man es abgekürzt in das HbA1c.

Allerdings ist es da so wie mit allem, daß irgendwo angeklebt werden soll: Neben dem Kleber braucht es auch einen Druck, der über bestimmte Zeit aufrecht erhalten wird. Und beim HbA1c wird der Druck über die Höhe des Blutzuckerspiegels erreicht und die Dauer eben über die Zeit, in der diese BZ-Höhe bestehen bleibt. Hält sie nur kurz an, dann fällt das Glucosemolekül auch wieder ab. Und dann ist auch das HbA1c nicht so hoch, als wenn diese BZ-Höhe längere Zeit bestehen bleibt.

Wenn also der BZ nur für 1-2 Stunden so hoch ist kann man das nicht im HbA1c sehen. Das HbA1c ist aber nur ein Maßeinheit und sagt nicht alles über die Gefahr aus. Diese Gefahr entsteht nicht durch das hohe HbA1c; sie wird davon nur angezeigt. Das ist wie bei Autos: das eine fährt mit 50 km/h (gutes HbA1c) und das andere mit 100 km/h (zu hohes HbA1c). Kommt es zu einem Unfall kann man sich bei beiden verletzen, aber das Risiko ist in dem schnelleren Auto höher. Aber: selbst mit 50 km/h kann man schon tödich verunglücken, wenn man sich nicht anschnallt.
Es würde also niemand sagen "Du brauchst dich nicht anzuschnallen, wenn du immer brav nicht schneller als 50 km/h fährst".

Dieser "Sicherheitsgurt" beim BZ ist alles mit dem wir vermeiden, über 160/180 mg/dl (9/10 mmol/l) zu kommen.

Denn der Blutzucker kann schon schädlich sein, auch wenn er nur für sehr kurze Zeit Spitzenwerte (=Peaks) erreicht. Durch den hohen BZ lagert sich Glucose nicht nur an Körpereiweiße an (wie z.B. dem roten Blutfarbstoff Hämoglobin), es löst auch Stoffwechselprozesse aus, die zu einer Veränderung der Wände von Blutgefäßen führen.

Zum einen werden die dicker (der Arzt spricht dann von erhöhter Intimamedia-Dicke (IMD) und dann können die ganzen Nährstoffe, die das Blut transportiert nicht mehr so problemlos alle Zellen erreichen, die von diesem Blutgefäß versorgt werden.
Das ist wie bei einer dünnen und einer dicken Mauer. Durch die dünne Mauer kann man die Musik aus dem Nebenzimmer auch besser hören.
Der Umbau der Gefäßinnenwand zu einer dickeren Schicht passiert nicht sofort. Das ganz schreitet langsam voran. Diese Mauer wird aus Steinchen aufgebaut, und jeder Moment mit zu hohem BZ liefert ein zusätzliches Steinchen.

Zum anderen werden durch den hohen BZ entzündliche Prozesse ausgelöst (hier kann man sich ein Fachwort dafür gut merken: inflammatorisch (etwas wird in Flammen gesetzt). Die machen quasi kleine Kratzer in die Wände der Blutgefäße. Ein oder zwei kleine Kratzer sind nicht so schlimm, die sieht man ja kaum. Aber je mehr kleine Kratzer da entstehen, desto rauher wird die Wand. Und an einer rauhen Wand können auch weiche Sachen hängenbleiben.
Probiert das mal mit einem Stück Watte an einer Glasschüssel und einer Küchenreibe aus. Wo bleibt mehr von der Watte hängen?

Im Laufe der Zeit bleibt dann immer mehr Zellen an dieser Stelle der Blutgefäß-Innenwand hängen => diese Stelle des Blutgefäßes wird immer enger und alles, was von diesem Blutgefäß versorgt wird kriegt weniger Nährstoffe geliefert. So ähnlich ist das auch bei Naturkatastrophen, wenn die Straßen nicht mehr befahrbar sind und die LKWs mit den Lebensmitteln nicht mehr bis in die Ortschaften kommen. Dann droht den Menschen dort eine Hungersnot. Unseren Zellen hier auch.

Und um diese beiden Dinge zu vermeiden sollte man versuchen, daß der BZ nicht zu hoch ansteigt, ganz egal für we lange.

Wir wissen ja, daß der BZ nach (=post) einer Mahlzeit (=prandial) ansteigen kann, weil wir da ja auch Kohlenhydrate zuführen, die solange zerkleinert werden bis nur noch die Einzelbausteine, also die Glucose übrigbleibt. Deswegen sagen viele dazu auch "pp-BZ/Wert (post prandial = nach der Mahlzeit)

Wenn man die Insulinmenge richtig berechnet und das Aufeinandertreffen von Glucose aus der Mahlzeit und Insulin aus der Spritze richtig aufeinander abstimmt, dann steigt der BZ nicht über diese Sicherheitsgrenze.

Die richtige Insulindosis:
Die ist erreicht, wenn nach dem Ende der Wirkdauer dieser Dosis der BZ in unserem Zielbereich liegt. Um das zu überprüfen kann man den BZ nach 3 Stunden (bei den Kurzzeit-Insulinanaloga wie Humalog, NovoRapid oder Apidra), bzw. 4 Stunden (bei normalem Humaninsulin wie Actrapid, Berlinsulin H Normal oder Huminsulin Normal) kontrollieren. Ist er im Ziebereich war die Dosis richtig.

Der richtige Spritz-Ess-Abstand (SEA) bzw. bei Pumpis Drück-Ess-Abstand (DEA):
Da wird es schon etwas kniffliger. Wie oben zu lesen ist sollte der BZ möglichst zu keiner Zeit über 180 mg/dl (10 mmol/l), noch besser nicht über 160 (9 mmol/l) steigen.

Dazu mal wieder ein kleines Bild: Im Lager namens "Unser Körper" werden Glucose-Pakete angeliefert, die von den Insulin-Arbeitern in die Zellen-Regale einsortiert werden sollen. Die Geschwindigkeit, mit der diese Pakete geliefert werden wird in GI gemessen (Glykämischer Index). Also sind die mit hohem GI schneller da als die mit niedrigem GI.

Kommen jetzt die Pakete schneller an als die Arbeiter, dann stapeln sich die Pakete in den Gängen und verstopfen die Wege. => Nicht so gut!

Die Arbeiter sind aber dumm wie ein Meter Feldweg. Wenn die einmal kommen räumen sie einfach alles weg, was irgendwie nach Glucose-Paket aussieht. Selbst dann, wenn es nicht nutzlos rumsteht sondern auf dem Fließband liegt, weil es in einem anderen Teil des Lagers gebraucht wird.

Damit die keinen Mist bauen muß also der Leiter des Lagers die so losschicken, daß sie zum selben Zeitpunkt eintreffen wie die neuen Glucose-Pakete.

Das heißt: erwarte ich Pakete mit hohem GI aus einer Expresslieferung, dann muss ich meine Arbeiter früher auf den Weg schicken, als wenn die Lieferung mit niedrigem GI per Ochensenkarren angeliefert wird.

Da ich auf Anhieb nicht weiß, wie schnell meine Arbeiter zu Fuß sind muß ich die Zeit stoppen, indem ich es einfach ausprobiere.

Also: Ich messe bei Kurzzeit-Analoga (diese Arbeiter kommen aus Schnellistan und sind irre flott unterwegs) nach 60 Minuten und bei normalem Humaninsulin (diese Arbeiter kommen aus Trägland und schlafen beim Gehen fast ein) nach 90 Minuten den BZ.

Ist er zu niedrig gegenüber dem BZ von vor dem Essen, dann habe ich meine Arbeiter zu früh losgeschickt (der SEA/DEA war zu lang)
Ist er zu hoch gegenüber dem BZ von vor dem Essen habe ich meine Arbeiter zu spät losgeschicht (der SEA/DEA war zu kurz)

Und übrigens: besonders Essen mit sehr viel Fett wird immer mit dem Ochsenkarren geliefert. Da dauert der Transport so lange, daß meine Arbeiter erstmal mit mir gemeimsam Mittagspause machen können und erst nach dem Essen wieder ins Lager aufbrechen müssen.
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Offline Andreas

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Re: WAS GENAU ist an pp-Werten über 180 (160) gefährlich?
« Antwort #2 am: März 07, 2008, 15:49 »
Wow! :super:
Gruß, Andreas
Eine gute Diabetes-Therapie muss einfach sein.


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Re: WAS GENAU ist an pp-Werten über 180 (160) gefährlich?
« Antwort #3 am: März 07, 2008, 17:31 »
KLasse Jörg,

finde das sehr gelungen  :super:

werd mir das mal gleich als PDF auf meinen USW-Stick ziehen und das meiner Mutter auf den Rechner legen  :prost:
~~~~~~~~~~~
       so long ...
 :winke:    Siggi    :winke:     
~~~~~~~~~~~

Offline Oggy

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Re: WAS GENAU ist an pp-Werten über 180 (160) gefährlich?
« Antwort #4 am: März 07, 2008, 17:47 »
   RESPEKT!!!      :zwinker: :zwinker:
Gruß Oggy   DM 3c, HbA1c 5,9

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Offline Susanne

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Re: WAS GENAU ist an pp-Werten über 180 (160) gefährlich?
« Antwort #5 am: März 07, 2008, 19:00 »
huiiii !!!!


DANKE   :super:

Iss ja Spitze.....

 bei uns fängt grad ein Fit-Kurs an - hm , da überleg ich gleich weitere Fragen an den Erklärbär.....     ;)


Susanne
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Offline Joerg Moeller

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Re: WAS GENAU ist an pp-Werten über 180 (160) gefährlich?
« Antwort #6 am: März 07, 2008, 19:58 »
Gern geschehen :verlegen:

Und für weitere Fragen steht er hier gern zur Verfügung ;D:
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Offline Susanne

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Re: WAS GENAU ist an pp-Werten über 180 (160) gefährlich?
« Antwort #7 am: März 08, 2008, 05:01 »
Gern geschehen

Bravo Bär!



Susanne
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Offline Joerg Moeller

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Re: WAS GENAU ist an pp-Werten über 180 (160) gefährlich?
« Antwort #8 am: März 08, 2008, 10:41 »
Ich bin da manchmal ein bissi nachlässig :rotwerd:, wenn Gummitiere sich in meiner Nähe aufhalten.

Kann ich verstehen. Leider sehen die nicht nur ziemlich süß aus: sie sind es auch. Deswegen nehmen einige von uns die ja auch so gern als Hypo-Futter. (Ich hab mal von jemandem gehört, daß in eine gelbe Kapsel aus den Ü-Eiern genau eine BE Gummibärchen passt)

Wenn man slso nicht gerade in einer Hypo ist oder sich ein paar als Nachtisch zum Mittagessen in den Mund steckt (wo dann ja auch das Fett aus dem Mittagsmahl noch ein bißchen die Magenbeweglichkeit verlangsamt), dann muß man bei solchen BE schon sehr auf den richtigen SEA achten.
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Offline diotmari

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Re: WAS GENAU ist an pp-Werten über 180 (160) gefährlich?
« Antwort #9 am: März 08, 2008, 10:44 »
.... und sagt nicht alles über die Gefahr aus. Diese Gefahr entsteht nicht durch das hohe HbA1c; sie wird davon nur angezeigt. Das ist wie bei Autos: das eine fährt mit 50 km/h (gutes HbA1c) und das andere mit 100 km/h (zu hohes HbA1c). Kommt es zu einem Unfall kann man sich bei beiden verletzen, aber das Risiko ist in dem schnelleren Auto höher. Aber: selbst mit 50 km/h kann man schon tödich verunglücken, wenn man sich nicht anschnallt.
Es würde also niemand sagen "Du brauchst dich nicht anzuschnallen, wenn du immer brav nicht schneller als 50 km/h fährst".

Dieser "Sicherheitsgurt" beim BZ ist alles mit dem wir vermeiden, über 160/180 mg/dl (9/10 mmol/l) zu kommen.

Danke, lieber Erklärbär!
Nur, warum geistern selbst unter Diabetologen immer noch gegenteilige Meinungen rum?  ???
Habe selbst mit höheren Werten im Moment meine böse Last, und der Doc meinte, wenn das nur kurzfristig sei, mache das  keine Probleme...  :mauer:

Viele Grüße
Dietmar
Mitnichten hat Gott sich schweigend zurückgezogen oder ist gar tot!
Er lacht sich nur schlapp über uns - wenn er nicht gerade kotzen muß.
DF