Als die Soldaten Frieden schlossen:
Das Weihnachtswunder von 1914Weihnachten 1914. An der Front harren Millionen Soldaten in den verschlammten Schützengräben aus. Im Niemandsland zwischen den feindlichen Linien liegen die Leichen der Gefallenen, teils mit Schnee bedeckt. Doch mit einem Mal gehen auf beiden Seiten hinter den Wällen Pappschilder hoch: "Frohe Weihnachten" steht da, und "Merry X-Mas". Was folgt, könnte ein Weihnachtsmärchen sein, aber es hat sich vor 90 Jahren, mitten im Ersten Weltkrieg, wirklich so zugetragen.
Nach fünf Monaten Krieg mit Hunderttausenden von Toten auf beiden Seiten bricht an der Westfront von der Nordsee bis zur Schweiz der Friede aus. "Um neun Uhr abends werden die Bäume angesteckt, und aus mehr als zweihundert Kehlen klingen die alten deutschen Weihnachtslieder", hält ein Soldat fest. "Dann setzen wir die brennenden Bäume ganz langsam und sehr vorsichtig auf die Grabenböschung."
Ein Brite schreibt seiner Frau: "Stell dir vor: Während du zu Hause deinen Truthahn gegessen hast, plauderte ich da draussen mit den Männern, die ich ein paar Stunden vorher noch zu töten versucht hatte." Ein anderer berichtet: "Auf beiden Seiten herrschte eine Stimmung, dass endlich Schluss sein möge. Wir litten doch alle gleichermassen unter Läusen, Schlamm, Kälte, Ratten und Todesangst."
"Niemals sah ich ein schöneres Bild des Friedens"
Es dauert nicht lange, und die Feinde machen sich Geschenke, singen Weihnachtslieder, spielen Fussball, veranstalten Radrennen und trinken belgisches Bier. Vor allem Sachsen, Bayern und österreicher verstehen sich gut mit den Briten - besser als mit ihren oft so schneidigen Kameraden aus Preussen. Ein britischer Soldat steht plötzlich seinem deutschen Coiffeur aus London gegenüber, der das Gastland bei Kriegsausbruch verlassen musste. Er bekommt sofort einen neuen Schnitt.
Leslie Walkinton schwärmt in einem Feldpostbrief: "Niemals sah ich ein schöneres Bild des Friedens: Einer unserer Offiziere fotografierte uns, wie wir mit deutschen Soldaten zusammenstanden. Es war wie im Stadion bei einem Fussballspiel." Ein britischer Offizier scherzt, für den Neujahrstag sei schon ein neuer Waffenstillstand verabredet worden: "Denn die Deutschen wollen sehen, wie die Fotos geworden sind".
Doch nicht alle sind mit der Verbrüderung einverstanden. So etwas dürfe nicht zugelassen werden, protestiert ein österreichischer Gefreiter. Als die Oberbefehlshaber von den Geschehnissen erfahren, wittern sie Verrat: "Ich verlange die Angabe der Namen, um entsprechende disziplinarische Massnahmen zu ergreifen", tobt der General Sir Horace Smith-Dorrien. In London dagegen feiert der Schriftsteller Arthur Conan Doyle - der Erfinder von Sherlock Holmes - den Weihnachtsfrieden als "Episode der Menschlichkeit inmitten der Grausamkeiten".
Als das Fest vorbei ist, feuern sich die Soldaten zunächst noch über die Köpfe, dann geht das grosse Schlachten weiter. Im Jahr darauf ist Weihnachten ein Tag wie jeder andere. Befehl von oben: Jeder, der mit dem Feind "Stille Nacht" singt, ist sofort zu erschiessen.
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