Weihnacht Ob hoch, ob nieder wir geboren,
so wie uns antritt das Geschick,
so geht der frohe Kindesblick,
das Kinderherz geht uns verloren.
Zerstoben bis auf wen’ge Reste
ist der Erinnerung Gewalt,
abwägend stehen wir und kalt
selbst vor des Jahres schönstem Feste.
Wir stehn vor einem toten Baume,
gemordet an des Waldes Rand,
geschmückt mit Flitter und mit Tand,
gar ungleich unserm Kindheitstraume.
Doch stürzet dann herein zur Schwelle
die kleine Schar mit Jubelschrei,
dann schleicht auch uns ins Herz dabei
der Weihnachtslichter frohe Helle.
Dem allen, was mit scharfem Sinnen
du an den Dingen dir erschließ’st
und was du wägst und zählst und miss’st,
dem lässt kein Glück sich abgewinnen!
Drum lass das Kritteln und Verneinen,
und lautern Herzens sei bereit,
zur frohen sel’gen Weihnachtszeit
dem Kinderjubel dich zu einen.
Erfasse ganz des Glaubens Fülle,
der deine Kindheit einst durchweht,
vom Gott, der hilfsbereit ersteht,
in armer, dürft’ger Menschenhülle.
Der Heiland wallt allzeit auf Erden,
das glaube felsenfest und treu,
nur freilich muss er stets aufs neu
in jeder Brust geboren werden!
Ludwig Anzengruber 1839 -1889 , österreichischer Schriftsteller