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Autor Thema: Vorweihnacht  (Gelesen 6452 mal)

Offline Joerg Moeller

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Re: Vorweihnacht
« Antwort #50 am: Dezember 20, 2004, 11:38 »
Was Du weggibst,
kommt zu Dir zurück , vervielfacht


Und da sag noch einer alles ist nur Zufall :gruebeln:
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Offline Joerg Moeller

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Re: Vorweihnacht
« Antwort #51 am: Dezember 20, 2004, 11:44 »
Dienstag, 14. Dezember, 19.56:
In der festlich geschmückten Werkstatthalle des Autohauses "Oertel" im Gewerbegebiet Stenkelfeld treffen die ersten Belegschaftsmitglieder zur Weihnachtsfeier ein.

20.16: Nach einem Tusch der Zweimannkapelle "Die Avocados" aus Foxtrup vergisst Seniorchef Heinrich Oertel in seiner unbeholfenen Begrüßungsansprache die obligatorischen Dankesworte an den Festausschus - ein Fehler, der sich noch rächen soll.

20.30: Werkstattleiter Düwelskirchen entfacht unter den Angestellten eine latente Angriffsbereitschaft gegen den Partyservice Westerkamp. Ein halbherziger Schlichtungsversuche der Seniorchefin Marie Oertel, mit dem Hinweis, die gereichte Rinderkraftbrühe sein immerhin schön heiß, stößt ins Leere. Die hämischen Nörgeleien am Essen nehmen zu.

21.03: Die Avocados drohen erstmals mit dem Abbruch ihres Auftritts, nachdem sich Altgeselle Horst B, beflügelt durch den hastigen Genuss von 11 Gläsern Glühwein, mit einem herumliegenden Bolzenschneider an den Lautsprecherkabeln der Gesangsanlage zu schaffen machte. Zuvor war sein Musikwunsch "Alte Kameraden" von der Kapelle mit einem hämische Grinsen ignoriert worden.

21.58: Bürolehrling Kerstin B. verrichtet mit hochrotem Kopf ihre Notdurft auf dem Rücksitz eines Kundenfahrzeugs. Der Grund: Seit 21.00 ist die einzige Damentoilette der Firma besetzt. Seitdem fehlen auch - wie jetzt auffällt - der smarte Juniorchef Peter Oertel und eine junge Angestellte aus der Reparaturannahme.

23.14: Lagerist Walter K. aus der Ersatzteilausgabe erörtert am Telefon mit seinem Anwalt die Chancen einer Verleumdungsklage gegen den Urheber des ihm gewidmeten Julklappgedichtes mit der Textzeile "Am Teiletresen, Mittelschicht, steht hier das dümmste Sackgesicht". Zeitgleich ermittelt Seniorchef Heinrich Oertel hasserfüllt den Absender eines ihm zugedachten Geschenkkartons mit ca. 4 Pfund gefrorenem Hundekot. Die Veranstaltung droht zu kippen.

0.41: Eine Gruppe von Kfz-Lehrlingen bedroht den Organisten der Avocados, Knut R., mit einem 24er Maulschlüssel, weil die zuvor erzwungene Darbietung eines ACDC-Titels viel Wünsche offen ließ. Minuten später zerfetzt die Kurbelwelle eines Mercedes-Transporters das neuwertige Instrument von Avocado-Schlagzeuger Sascha P:. Fortan kommt die Musik vom Plattenspieler.

1.07: Während der völlig betrunkene Juniorchef unter dem Gejohle der Verkaufsabteilung das Spitzenhöschen der jungen Angestellten aus der Reparaturannahme vor der nun frei gewordenen Damentoilette amerikanisch versteigert, gerät ein altes Innungskunststück mit 2 Schneidbrennern und einer alten Bremsleitung, vorgeführt von Werkstattleiter Düwelskirchen, außer Kontrolle. Die Explosion des Tanklagers ist bis ins Stadtzentrum zu hören.,

1.35: Die Bergungs- und Löscharbeiten im Autohaus Oertel kommen wegen Personalmangels nur mühsam voran. Große Teile der Rettungsmannschaften sind bereit auf Weihnachtsfeiern in umliegenden Ortschaften im Einsatz.

3.00: Schließlich gelingt es einer Hubschrauberbesatzng des THW, durch das Dach der Werkstatthalle den Altgesellen Horst B. aufzunehmen, der bis zuletzt mit einem abgebrochenen Scheibenwischer am Plattenspieler "Alte Kameraden" dirigierte.

5.28: Das Gewerbegebiet Stenkelfeld ist nicht mehr. Die rauchenden Trümmer des Autohauses "Oertel" sowie des benachbarten Getreidehandel sind stumme Zeugen eines festlichen Beisammenseins von Menschen, Menschen wie du und ich, die nur mal im Kollegenkreise weihnachtlich feiern wollten.
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Offline vreni

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Re: Vorweihnacht
« Antwort #52 am: Dezember 21, 2004, 08:11 »
DIE WEIHNACHTSGANS

In einem kleinen Ort lebten in der hungrigen Zeit nach dem Krieg zwei nette alte Frauen. Damals war es schwer, für Weihnachten einen Festbraten zu bekommen. Nun aber hatte eine der beiden Frauen die Möglichkeit, bei einem Bauern eine magere, aber springlebendige Gans gegen ein wenig Wolle einzutauschen. In einem Korb verpackt, brachte Agathe das Tier nach Hause. Uns sofort fingen sie und ihre Schwester an, auf die Gans aufzupassen und zu füttern.

Die beiden Frauen hatten eine Mietwohnung im 2. Stock. Und keiner im Haus wusste, dass in einem der Zimmer der Schwestern ein Federnvieh hauste, das verwöhnt, gefüttert und gehegt wurde. Agathe und Emma nahmen sich vor, keinem Menschen davon etwas zu sagen. Und das aus zwei Gründen.
Erstens gab es Menschen, die sich keine Gans leisten konnten. Und zweitens wollten die Schwestern um nichts in der Welt die Gans, wenn sie dick und fett und fein gebraten war, mit Verwandten teilen. Darum hatten die beiden in den Wochen bis zum 24. Dezember auch keinen Besuch mehr. Sie lebten nur für die Gans.

Und bald war der 23. dezember. Es war ein kalter Wintertag. Die ahnungslose Gans stolzierte vergnügt herum und war ordentlich am Schnattern. Die beiden Frauen konnten sie nicht anschauen. Nicht, dass sie böse auf die Gans waren, nein. Aber - wer sollte sie schlachten ?

" Das tust du ", sagte Agathe, ließ ihre schimpfende Schwester stehen und verließ die Wohnung. Was sollte die arme Emma tun ? Diese murrte vor sich hin und überlegte, ob sie nicht den Nachbarn fragen sollte, die Gans um die Ecke zu bringen. Doch diesen Gedanken ließ sie wieder fallen, denn sonst hätte man ihm ja einen Teil abgeben müssen. Sie nahm also all ihren Mut zusammen - nicht ohne dabei lauthals zu heulen.

Als Agathe nach geraumer Zeit wieder zu Hause ankam, lag die Gans auf dem Küchentisch und der Hals baumelte über die Tischkante. Die beiden Schwestern lagen einander laut weinend in den Armen :
" Wie.....wie....." schluchzte Agathe, " wie hast du das bloß geschafft, Emma ?" - " Mit.....mit.....einem Schlafmittel ", heulte Emma los.
Ich hab ein paar Tabletten aufgelöst und in das Futter gegeben. Und nun ist sie.....huhu.....tot.Aber rupfen musst du sie.....huhu....."

Aber weder Agathe noch Emma konnten sich dazu aufraffen. In der Küche stand der leere Korb, in der die Gans immer geschlafen hatte. Morgen in der Früh würde es kein " Guten - Morgen - Geschnatter " geben. Kaum dachten die beiden daran, fingen sie wieder an zu weinen. Endlich nahm sich Agathe zusammen und fing an, dem noch warmen Vogel die Federn auszureisen. Bratfertig konnte die Gans abber keine der beiden machen, das wurde auf den nächsten Tag verschoben.

In der Früh wurden die Schwestern unsanft aus dem Schlaf gerissen. Sie saßen gleichzeitig senkrecht im Bett und schauten ungläubig Richtung Türe. Und wer kam da hereinspaziert ? Eine schnatternde Gans, nackig sozusagen, sichtlich ausgeschlafen, die am ganzen Leib zitterte und bebte !

Diese Geschichte ist tatsächlich wahr, aber es kommt noch besser. Als ich Agathe und Emma am Heiligen Abend ein Päckchen vorbeibringen wollte, da kam mir doch wahrhaftig eine Gans entgegen. Dass es sich um eine Gans handelte, konnte ich eigentlich nur am Kopf erkennen, denn der ganze Vogel steckte in einem warmen Pullover, den die beiden Frauen in aller Eile für ihren Liebling gestrickt hatten.

Diese " Pulli - Gans " hat noch sieben Jahre gelebt und ist dann an Altersschwäche eines natürlichen Todes gestorben.

Sowohl bei Agathe und Emma als auch bei uns zu Hause war ein gebratenes Gansl zu Weihnachten nie wieder ein Thema !

( Marie Branowitzer-Rodler )

und die Moral von der Geschicht, befreund dich mit Essen nicht...........


 ;)

Offline Ludwig

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Re: Vorweihnacht
« Antwort #53 am: Dezember 21, 2004, 10:57 »
"Stille Nacht" im Schützengraben

Weihnachten 1914 verbrüdern sich Feinde

Weihnachten 1914. An der Front harren Millionen Soldaten in den verschlammten Schützengräben aus. Im Niemandsland zwischen den feindlichen Linien liegen die Leichen der Gefallenen, teils mit Schnee bedeckt. Doch mit einem Mal gehen auf beiden Seiten hinter den Wällen Pappschilder hoch: "Frohe Weihnachten" steht da, und "Merry X-Mas". Was folgt, könnte ein Weihnachtsmärchen sein, aber es hat sich vor 90 Jahren, mitten im Ersten Weltkrieg, wirklich so zugetragen.

Nach fünf Monaten Krieg mit Hunderttausenden von Toten auf beiden Seiten bricht an der Westfront von der Nordsee bis zur Schweiz der Friede aus. "Um neun Uhr abends werden die Bäume angesteckt, und aus mehr als zweihundert Kehlen klingen die alten deutschen Weihnachtslieder", hält ein Soldat fest. "Dann setzen wir die brennenden Bäume ganz langsam und sehr vorsichtig auf die Grabenböschung."

Feinde machen sich Geschenke

Ein Brite schreibt seiner Frau: "Stell dir vor: Während du zu Hause deinen Truthahn gegessen hast, plauderte ich da draußen mit den Männern, die ich ein paar Stunden vorher noch zu töten versucht hatte." Ein anderer berichtet: "Auf beiden Seiten herrschte eine Stimmung, dass endlich Schluss sein möge. Wir litten doch alle gleichermaßen unter Läusen, Schlamm, Kälte, Ratten und Todesangst."

Es dauert nicht lange, und die Feinde machen sich Geschenke, singen Weihnachtslieder, spielen Fußball, veranstalten Radrennen und trinken belgisches Bier. Vor allem Sachsen, Bayern und Österreicher verstehen sich gut mit den Briten - besser als mit ihren oft so schneidigen Kameraden aus Preußen. Ein britischer Soldat steht plötzlich seinem deutschen Frisör aus London gegenüber, der das Gastland bei Kriegsausbruch verlassen musste. Er bekommt sofort einen neuen Schnitt.

Als das Fest vorbei ist, geht das große Schlachten weiter

Leslie Walkinton schwärmt in einem Feldpostbrief: "Niemals sah ich ein schöneres Bild des Friedens: Einer unserer Offiziere fotografierte uns, wie wir mit deutschen Soldaten zusammenstanden. Es war wie im Stadion bei einem Fußballspiel." Ein britischer Offizier scherzt, für den Neujahrstag sei schon ein neuer Waffenstillstand verabredet worden: "Denn die Deutschen wollen sehen, wie die Fotos geworden sind".

Doch nicht alle sind mit der Verbrüderung einverstanden. So etwas dürfe nicht zugelassen werden, protestiert ein österreichischer Gefreiter. Er heißt Adolf Hitler. Einige Soldaten werden von Scharfschützen der gegnerischen Seite erschossen. Als die Oberbefehlshaber von den Geschehnissen erfahren, wittern sie Verrat: "Ich verlange die Angabe der Namen, um entsprechende disziplinarische Maßnahmen zu ergreifen", tobt der General Sir Horace Smith-Dorrien. In London dagegen feiert der Schriftsteller Arthur Conan Doyle - der Erfinder von Sherlock Holmes - den Weihnachtsfrieden als "Episode der Menschlichkeit inmitten der Grausamkeiten".

Als das Fest vorbei ist, feuern sich die Soldaten zunächst noch über die Köpfe, dann geht das große Schlachten weiter. Im Jahr darauf ist Weihnachten ein Tag wie jeder andere. Befehl von oben: Jeder, der mit dem Feind "Stille Nacht" singt, ist sofort zu erschießen.

(N24.de, dpa)
SiDiary Win32, SiDiaryPPC,WinXP SP3 oder Win 7 + Firefox 3.5

Als ich ein Bursche von 14 war, verhielt sich mein Vater so überheblich, daß ich es kaum aushalten konnte, mit ihm zusammen zu sein. Als ich 21 wurde, war ich doch erstaunt, was der alte Mann in sieben Jahren dazugelernt hatte! M. Twain

Offline vreni

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22. Dezember
« Antwort #54 am: Dezember 22, 2004, 09:16 »
Hilfe! Die Herdmanns kommen! 

Die Erzählerin dieser Geschichte ist ein Mädchen von circa 14 Jahren. Zum besseren Verständnis sei gesagt, daß diese Geschichte in Amerika spielt und in Amerika gibt es die Sonntagsschule. Die Sonntagsschule ist der kirchliche Unterricht, der halt am Sonntagmorgen erteilt wird.


Die Herdmann-Kinder waren die schlimmsten Kinder aller Zeiten. Sie logen und klauten, rauchten Zigarren (sogar die Mädchen) und erzählten schmutzige Witze. Sie schlugen kleine Kinder, fluchten auf ihre Lehrer, mißbrauchten den Namen des Herrn und setzten den alten, verfallenen Geräteschuppen von Fred Schumacher in Brand. Das Gerätehaus brannte nieder bis auf den Grund, und ich glaube, das überraschte die Herdmanns. Sie setzten ständig etwas in Brand, aber es war das erste Mal, daß sie es schafften, ein ganzes Gebäude niederzubrennen. Sie waren wirklich so rundherum schrecklich, daß man kaum glauben konnte, daß es sie wirklich gab: Ralf, Eugenia, Leopold, Klaus, Olli und Hedwig - sechs magere, dünnhaarige Kinder, die sich nur dadurch voneinander unterschieden, daß sie verschieden groß waren und an verschiedenen Stellen blaue Flecken aufwiesen, die sie sich gegenseitig beigebracht hatten. Wir waren überzeugt, daß sie direkt auf die Hölle zusteuerten, mit dem Umweg über die Staatliche Besserungsanstalt - bis sie sich mit meiner Mutter, der Kirche und unserem Krippenspiel einließen.

Meine Mutter hatte nicht erwartet, daß sie etwas mit dem Krippenspiel zu tun haben würde. Aber als dann Frau Amstrong hinfiel und sich das Bein brach, wurde sie in die Sache hineingezogen.

Natürlich dachte niemand auch nur im entferntesten an die Herdmanns im Zusammenhang mit dem Krippenspiel. Die meisten von uns wurden die ganze Woche über in der Schule von den Herdmanns herumgepufft, gestoßen und gezerrt und freuten sich auf den Sonntag. Es war der Tag, an dem man vor den Herdmanns Ruhe hatte.

Einmal im Monat ging die gesamte Sonntagsschule in die Kirche, um in den ersten 15 Minuten des Gottesdienstes etwas Besonderes zu bieten, ein Lied, ein Gleichnis aus der Bibel oder einen Vers.

Aber als mein Bruder Charlie in die Sonntagsschule ging, ließ sich die Lehrerin etwas Neues einfallen. Jeder sollte auf einen Zettel schreiben oder malen, was er an der Sonntagsschule am meisten mochte Und als wir alle in der Kirche waren, stellte sie sich vor die Gemeinde und sagte: "Heute werden uns einige unserer kleinsten Jungen und Mädchen erzählen, was die Sonntagsschule für sie bedeutet. Betty, was hast du auf deinem Zettel stehn?"
Betty Ketterer stand auf und sagte: "Was ich in der Sonntagsschule am meisten mag, ist das schöne Gefühl, das ich habe, wenn ich hingehe." Ein Kind sagte, es höre so gern die Biblische Geschichte. Schließlich sagte die Lehrerin: "Wir haben gerade noch für einen Zeit. Charlie, was kannst du uns über die Sonntagsschule erzählen?"Mein kleiner Bruder Charlie stand auf, und er mußte nicht einmal auf seinen Zettel schauen. "Was ich an der Sonntagsschule am meisten mag", sagte er, "ist, daß es hier überhaupt keine Herdmanns gibt."

Als wir ihn nach der Kirche abholten, sagte die Lehrerin zu uns: "Ich bin sicher, daß es noch viele andere Dinge gibt, die Charlie an der Sonntagsschule gefallen." Sie lächelte uns allen zu, aber man konnte sehen, daß sie richtig wütend war.
Auf dem Heimweg fragte ich Charlie: "Was sind denn die anderen Dinge, die dir angeblich gefallen?" Er zuckte mit den Achseln. "Ich mag ja den anderen Kram. Aber sie sagte, wir sollen aufschreiben, was wir am meisten mögen. Und was ich am meisten mag, sind keine Herdmanns."

Während der ganzen zweiten Klasse war Charlie mit blauen und grünen Flecken übersät, weil er neben Leopold Herdmann sitzen mußte. Aber letzten Endes war es sogar Charlies Schuld, daß die Herdmanns in der Kirche aufkreuzten. Drei Tage hintereinander klaute Leopold Herdmann die Süßigkeiten aus Charlies Frühstückspaket, und schließlich hatte Charlie keine Lust mehr, etwas dagegen zu unternehmen.
"Nimm's dir! Nur zu!", sagte er. "Mir macht das nichts aus. Ich bekomme ja so viel Süßigkeiten, wie ich will in der Sonntagsschule."
"Du lügst!", sagte Leopold und - Leopold hatte recht. Wir bekamen Ostereier zu Ostern und ein Stück Kuchen beim Kinderfest, das war alles.
"Wir bekommen auch Eis", fuhr Charlie fort. "Und Krapfen und Popcorn."
"Von wem denn?" wollte Leopold wissen.
"Vom Pfarrer", sagte Charlie. Ihm fiel nichts anderes ein. Das war natürlich das Verkehrteste, was man den Herdmanns erzählen konnte, wenn man wollte, daß sie wegblieben.

Und -wie konnte es anders sein- schon am nächsten Sonntag waren sie da. Sie schlurften in die Kirche und hielten gespannt Ausschau nach den Süßigkeiten.
"Wo gibt's den Kuchen?" fragte Ralf den Sonntagsschulpfarrer.
Und Herr Greder sagte: "Mein Sohn, ich weiß nichts von einem Kuchen. Aber draußen in der Küche sammeln sie gerade die Essenspakete ein." Er meinte die Essensspenden, die wir jedes Jahr [am Erntedankfest] für das Waisenhaus stifteten.

Es war unser Pech, daß die Herdmanns gerade diesen Sonntag erwischten, denn als sie all die Dosen mit Spaghetti, Bohnen, Erdnußbutter und Pampelmusensaft sahen, mußten sie annehmen, daß doch etwas wahres an dem war, was Charlie über die Süßigkeiten erzählt hatte.

Also blieben sie. Zwar sangen sie keine Lieder mit und beteten auch nicht, aber dafür kamen sie zu etwas Geld. Ich sah jedenfalls, wie Eugenia eine Handvoll Münzen aus dem Kollektenteller nahm, als er an sie weitergereicht wurde.

Am Ende dieses Vormittags kam Herr Greder in alle Klassen und machte eine Mitteilung. "Wir beginnen bald mit den Proben für unser Weihnachtskrippenspiel", sagte er. "Nächsten Sonntag nach dem Gottesdienst werden wir uns alle hinten im Gemeindesaal versammeln und festlegen, wer die Hauptrollen spielt."

Am nächsten Sonntag:
Nach der Kirche gingen wir in den Gemeindesaal, der hinter der Kirche lag. Drei Sonntagsschullehrer sollten für Ruhe sorgen. Es war gar nicht einfach, alle Kinder still zu halten.

"Keine Angst, es wird nicht lange dauern", fing meine Mutter an. "Zuerst möchte ich euch etwas von den Proben erzählen", sagte Mutter. "Wir werden jeden Mittwoch [Abend] hier um halb sieben proben. Die Kleinen aus der Vorschule und die Erstkläßler werden unsere Engel sein. Das mögt ihr doch - oder?" fragte Mutter.
Alle sagten ja. Was konnten sie auch anderes sagen!
"Die älteren Jungen und Mädchen brauchen wir als Hirten, als Gäste in der Herberge und als Engelchor."

Mutter zog die Sache wirklich im Blitztempo durch, und ich dachte, wie sich Frau Amstrong über all die Sachen aufregen würde, die [Mutter] einfach wegließ.

"Und dann brauchen wir Maria und Josef, die drei Weisen aus dem Morgenland und den Engel des Herrn. Nun wir wissen alle, was für ein Mensch Maria war. Sie war ruhig und freundlich und gütig, und das Mädchen, das die Maria spielt, sollte versuchen ebenso zu sein. Ich werde erst einmal fragen, wer sich dafür meldet, und dann entscheiden wir alle zusammen, welches Mädchen die Rolle spielen soll."
Die einzige, die diesmal die Hand hob, war - Eugenia Herdmann.
"Hast du noch eine Frage, Eugenia?" fragte meine Mutter. Ich glaube, das war der einzige Grund, den sie sich vorstellen konnte, weshalb Eugenia sich meldete.
"Nein", sagte Eugenia. "Ich will die Maria sein." Sie schaute über die Schulter nach hinten. "Und Ralf möchte der Josef sein."
"Jawoll", sagte Ralf.
Mutter starrte sie nur an. Es war wie in einem Kriminalfilm, wo die nette, kleine, alte, grauhaarige Dame einen doppelläufigen Revolver aus dem Handtäschen zieht, zum Bankbeamten sagt: "Rück den Zaster raus, aber dalli!" und man dasitzt und es einfach nicht glauben kann. Mutter konnte das hier nicht glauben.
"Nun sagte", sagte sie nach einer Minute. "Wir wollen erst ganz sicher sein, daß jeder eine Chance bekommt. Wer meldet sich noch für den Josef?" - Niemand meldete sich.
"Na gut", sagte Mutter. "Ralf wird unser Josef sein." Auch für die Weisen aus dem Morgenland meldete sich niemand außer Leopold, Klaus und Olli Herdmann.

Da stand also meine Mutter und hatte ein Krippenspiel am Hals mit lauter Herdmanns in den Hauptrollen. Eine Herdmann und eine Hauptrolle waren noch übriggeblieben, und es bedurfte keiner besonderen Klugheit, sich auszurechnen, daß Hedwig den Verkündigungsengel spielen würde.


Die erste Probe:
Alle waren ruhig und setzten sich gleich hin, weil sie Angst hatten, es könnte ihnen sonst vielleicht entgehen, was die Herdmanns Schreckliches anstellen würden.

Sie kamen zehn Minuten zu spät und schlenderten in den Raum wie eine Bande Geächteter, die vor hat einen Saloon leerzuschießen.

Mutter sagte: "Hier kommt die Familie Herdmann. Wir freuen uns, euch alle hier zu sehn." (Das war sicher die dickste Lüge, die je in einer Kirche laut ausgesprochen wurde.) Eugenia lächelte - das Herdmänner-Lächeln, wie wir es nannten, dreckig und gemein -, und dann saßen sie da, fast Kriminelle in unseren Augen, und die sollten nun das Edelste und Schönste darstellen, das es gab.

Mutter fing [nun] an, die Kinder in Hirten und Engel und Herbergsgäste einzuteilen, und schon gab es die ersten Schwierigkeiten.
"Was ist eigentlich eine Herberge?" fragte Klaus.
"So etwas ähnliches wie ein Hotel", erklärte ihm jemand. "Wo Leute übernachten können."
"Was für Leute?" fragte Klaus. "Jesus?"
"Wie ging's los?" schrie Eugenia meiner Mutter zu. "Fangen sie doch am Anfang an!"

Die Sache war eben die, daß die Herdmanns nicht das geringste von der Weihnachtsgeschichte wußten. Sie wußten gerade noch, daß Weihnachten der Geburtstag Jesu war, aber alles andere war neu für sie.

Und Mutter sagte, es sei wohl das Beste, zuerst einmal die Weihnachtsgeschichte vorzulesen.
"...da machte sich auch Josef auf, daß er sich schätzen ließe, mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die gesegneten Leibes war..."
"Schwanger", rief Ralf Herdmann.
Das verursachte ziemliche Unruhe. Die größeren Kinder begannen zu kichern, und die kleineren wollten wissen, was denn so komisch war. Mutter mußte mit einem Zeigestock auf den Boden klopfen. "Genug, Ralf!" sagte sie und las weiter vor.
"Was ist das?" fragten [die Herdmanns] immer, wenn sie einen Ausdruck nicht verstanden. Als Mutter vorlas, daß kein Platz in der Herberge war, fiel Eugenia die Kinnlade herunter, und sie sprang auf. "Verdammt!" sagte sie. "Nicht einmal für Jesus?"
"Na ja, also..." [sagte] Mutter.
"Wie hieß das, wo sie das Baby reingelegt haben?" fragte Leopold. "Diese Krippe ... ist das so'ne Art Bett?"
"Das ist es ja gerade", sagte Mutter. "Sie hatten eben kein Bett im Stall. Also mußten Maria und Josef das nehmen, was sie dort vorfanden. Eine Krippe ist ein hölzerner Futtertrog für Tiere."
"Was waren die Bindeln?" wollte Klaus wissen.
"Die was?" fragte Mutter.
"Sie haben doch vorgelesen: Sie wickelten ihn in Bindeln."
"Windeln", seufzte Mutter. "Früher hat man die Babys fest in große Tücher eingewickelt. Die Babys fühlten sich dabei behaglich und geborgen. Und siehe, des Herrn Engel trat zu ihnen", fuhr Mutter fort, "und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie, und..."
"Batman!" schrie Hedwig, warf die Arme auseinander und ohrfeigte dabei das Kind neben ihr.
"Wie bitte?" fragte Mutter. Mutter las nie Comic-Hefte.
"Aus dem Dunkel der Nacht erschien Batman, der Rächer der Entrechteten..."
"Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Hedwig", sagte Mutter. "Das ist der Engel des Herrn, der zu den Hirten auf dem Feld kommt."
"Aus dem Nichts?" fragte Hedwig. "Aus dem geheimnisvollen Dunkel der Nacht, ja?"
"Na ja." Mutter sah etwas unglücklich aus. "Gewissermaßen."
Hedwig setzte sich wieder hin und sah sehr zufrieden aus. So, als ob das endlich ein Teil der Weihnachtsgeschichte wäre, den sie verstand.

Ich konnte die Herdmanns nicht verstehen. Man hätte denken können, die Weihnachtsgeschichte käme direkt aus den Polizeiakten des FBI, so gingen sie mit. Sie wünschten dem Herodes ein blutiges Ende, sorgten sich um Maria, die ihr Baby in einen Futtertrog legen mußte, und nannten die Heiligen Drei Könige eine Bande schmutziger Spione. Und als sie die Probe verließen diskutierten sie darüber, ob Josef die Herberge hätte anzünden oder ob er nur den Gastwirt über die Grenze hätte jagen sollen.

Heiligabend:
Mutter meinte, wenn alles vorbei wäre, würde sie irgendwohin gehen und sich verkriechen.

"Wir sind nicht ein einziges Mal [bei den Proben] ganz durchgekommen", sagte sie. "Ich weiß überhaupt nicht, was passieren wird. Vielleicht wird es das erste Krippenspiel in der Geschichte, bei dem Josef und die Heiligen Drei Könige einen Boxkampf anfangen und Maria mit dem Kind wegläuft."

Aber zunächst lief alles wie immer. Wie immer herrschte ein großes Durcheinander, aber alles beruhigte sich, und pünktlich um halb acht begann das Krippenspiel. Wir sangen zwei Verse von "Zu Bethlehem im Stalle", und dann sollten wir das Lied noch ein bißchen weitersummen, während Maria und Josef durch die Seitentür hereinkamen. Nur, sie kamen nicht. Also summten wir und summten, was sehr langweilig und schwierig ist, und nach kurzer Zeit klang es nicht mehr wie ein Lied, sondern eher wie ein alter Kühlschrank. Ich schätze wir hätten weitergesummt, bis wir schwarz geworden wären, aber es kam nicht so weit. Ralf und Eugenia traten auf. Eine Minute lang standen sie einfach da, als ob sie nicht sicher seien, daß sie am richtigen Ort waren. Das lag vielleicht an den Kerzen und den vielen Menschen in der Kirche. Sie sahen aus wie die Leute, die man manchmal in der Tagesschau sieht: Flüchtlinge, die irgendwo an einem fremden, kalten Ort wartend herumstehen, umgeben von Pappkartons und Säcken. - Plötzlich wurde mir klar, daß es der echten Heiligen Familie genauso ergangen sein muß, einquartiert in einem Stall, von Leuten, denen es egal war, was mit ihnen geschah. Sie konnten gar nicht besonders gepflegt und sauber ausgesehen haben. Sicher hatten sie eher so ausgesehen wie diese Maria und dieser Josef. (Eugenias Schleier hing schief wie gewöhnlich, und Ralfs Haare standen nach allen Seiten ab.) Eugenia hatte die Babypuppe bei sich, aber sie wiegte sie nicht in den Armen, wie man es gewohnt war. Sie hatte es über die Schulter gelegt, und bevor sie [die Puppe] in die Krippe legte, klopfte sie ihr zweimal auf den Rücken.

Ich hörte Alice [Wendlaken] tief Luft holen. "Kannst du dir vorstellen, daß er Bauchweh hatte?" [fragte sie mich.] Ich sagte: "Warum denn nicht." Und ich konnte es mir wirklich vorstellen. Er konnte Bauchweh haben oder unruhig sein oder hungrig, genau wie jedes andere Baby auch. Das war es ja gerade: daß Jesus nicht auf einer Wolke heruntergekommen war wie eine Märchenfigur, sondern daß er richtig geboren wurde und als Mensch lebte.

Als nächstes kam Hedwig hinter dem Engelchor hervor. Sie schubste die anderen aus dem Weg oder trat ihnen auf die Füße. Da Hedwig die einzige war, die in dem Krippenspiel etwas zu sagen hatte, nutzte sie das auch aus. "He! Euch ist ein Kind geboren!" schrie sie, und es klang wirklich wie die beste Botschaft der Welt. Alle Hirten zitterten und fürchteten sich - vor Hedwig natürlich, aber jedenfalls wirkte es gut.

Danach hatten wir ein bißchen Ruhe, während die Jungen sangen "Wir sind die Drei Könige..." und die Zuschauer sich umdrehten, um den Auftritt der Heiligen Drei Könige nicht zu verpassen.

"Was haben die denn da?" flüsterte Alice.

Ich wußte es nicht. Aber was es auch war, es war jedenfalls schwer. Leopold ließ es fast fallen. Dafür hatte er das Gefäß mit Weihrauch nicht dabei, und Klaus und Olli hatten gar nichts in der Hand, obwohl sie Gold und Myrrhe mitbringen sollten. Leopold ließ den Schinken vor die Krippe fallen. Während wir sangen: "Gold und Weihrauch bringen wir", sollten sich die Heiligen Drei Könige miteinander unterhalten und dann jeder zu einer anderen Tür hinausgehen, damit klar würde, daß jeder einen anderen Weg nach Hause nahm. Aber die Herdmanns hatten das entweder vergessen oder sie wollten nicht, jedenfalls unterhielten sie sich nicht und gingen auch nicht. Sie saßen einfach da, und niemand konnte etwas dagegen unternehmen.

"Sie verderben alles", flüsterte Alice. Aber sie taten es ganz und gar nicht. Es war wirklich viel sinnvoller, daß sich die Heiligen Drei Könige hinsetzten und ausruhten. Ich fand, daß die Herdmanns nichts verdarben, sondern im Gegenteil das Krippenspiel um vieles verbessert hatten, indem sie einfach das taten, was ihnen logisch erschien. Zum Beispiel, daß sie das Baby auf den Rücken klopften und einen Schinken für ein besseres Geschenk hielten als eine ganze Menge parfümierter Öle.

Ich wünschte fast, das Krippenspiel ginge weiter, nur um zu sehen, was die Herdmanns noch alles anders machen würden. Vielleicht würden die Heiligen Drei Könige Maria von der Geschichte mit Herodes erzählen, und sie würde ihnen raten, daß sie zurückgehen und ihm das Blaue vom Himmel herunterlügen sollten. Oder Josef würde mit ihnen zurückgehen und ein für allemal Schluß mit Herodes machen. Ich war so damit beschäftigt, mir immer neue Möglichkeiten auszudenken, wie man das Baby Jesus retten konnte, daß ich den Anfang von "Stille Nacht, heilige Nacht" verpaßte. Aber es war nicht weiter schlimm, weil alle mitsangen, auch die Zuschauer. Wir sangen alle Strophen, und als wir zur Stelle kamen "Gottes Sohn, oh, wie lacht...", schaute ich zufällig zu Eugenia hinüber. Fast hätte ich mein Gesangbauch auf einen kleinen Engel fallen lassen.

Jeder hatte die ganze Zeit darauf gewartet, daß die Herdmanns etwas absolut Unerwartetes tun würden. Und nun war es geschehen: - Eugenia Herdmann weinte. - Im Kerzenlicht glänzte ihr ganzes Gesicht vor Tränen, und sie machte nicht einmal den Versuch, sie wegzuwischen. Sie saß nur da - die schlimme, schreckliche Eugenia - und weinte und weinte und weinte. - Es war wirklich das beste Krippenspiel, das jemals aufgeführt wurde. Das sagte hinterher jeder, aber niemand schien zu wissen, warum es so war. Für mich war das merkwürdigste, daß ich jahrelang über das Wunder von Weihnachten und das Geheimnis von Jesu Geburt nachgedacht und es nie wirklich verstanden hatte. Aber jetzt, durch die Herdmanns, schien mir das alles nicht mehr so geheimnisvoll. Was mich betrifft, so wird Maria immer etwas von Eugenia Herdmann haben, ein bißchen unruhig und verwirrt, aber bereit, jeden zu verprügeln, der ihrem Baby zu nahe treten will. Und die Heiligen Drei Könige werden für mich Leopold und seine Brüder sein, mit einem Schinken in der Hand.

Als wir an diesem Abend aus der Kirche kamen, war es kalt und klar. Der Schnee knirschte unter unseren Füßen, und die Sterne leuchteten hell, sehr hell. Und ich dachte an den Verkündigungsengel, an Hedwig mit ihren dünnen Beinen und ihren schmutzigen Stiefeln, die unter ihrem Kostüm vorschauten, an Hedwig, die uns allen zurief:



"He, euch ist ein Kind geboren!"

Barbara Robinson

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23. Dezember
« Antwort #55 am: Dezember 23, 2004, 07:17 »
Eine Weihnachtstraumgeschichte
von Abendsternchen


Hinter der den Bergen blinzelte gerade die Sonne hervor.
Sie trocknete gedankenverloren die letzten Regentropfen um sich herum, die sie manchmal weinen machten und breitete dann ihr wärmendes Gefieder aus. Sie umspannte den Horizont, der ihr zärtlich wohlgesonnen war. Alles war so unbegreiflich schön.
Auf den Feldern rieben sich die Erdbeeren den Schlaf aus den Augen. "Hmmm", machte die Sonne. Unter ihrer sanften Glut entfalteten sie ein wunderbares Aroma. Nun zogen neugierig die Zuckerwattewölkchen heran. Auch sie wollten den neuen Tag begrüßen, denn heute sollte ein - erst keimendes Pflänzchen - zur Blüte erwachen. Die Stille und die Freiheit waren wie von Sinnen. Der rauschende, kühle Gebirgsbach wusch sich immer klarer. Er war von schimmerndem Eisblau und wusste um seine Wirkung, seine überzogene Reinheit. "Guten Morgen, stolzes Wasser!" sagte die Erde. Die Gräser und Blumen würzten die frische Luft, die voller Lebenslust und Freude zu einem mächtigen Wind aufbrauste. Eine Spur zu übermütig. Die wilde Sahne am Himmel wirbelte durcheinander. Erbost über so viel Untugend streute der Sand seine Körner aus. Die Blüten tanzten einen ungezügelten Reigen. Plötzlich glättete eine unbekannte Kraft die Wogen. Die Bäume ruhten von ihrem Schaukeln, die Stimmen der Blätter im Wind von ihren Schwingungen aus. Vorsichtig tastend lugte ein neuer Erdenbewohner hervor. Alles schaute und staunte und war ganz gerührt von soviel unmittelbarem Augenblick. Das Pflänzchen - man nennt es Liebe - hatte sich voll entfaltet. Die Blumen sangen Wiegenlieder im Takt des väterlichen Windes, erfüllt von Dankbarkeit gegenüber dem Wunder Natur. Und Mutter Sonne breitete wieder stolz ihre Arme aus. Noch nie hatte sie so gestrahlt wie an diesem Morgen unschätzbaren Glücks....
Auf der anderen Seite der Welt erwachte Karl unter der Brücke. Die Kälte in den Gliedern hatte seinen Körper steif gemacht. Nebel war über dem Flüsschen zu sehen, von der Sonne keine Spur. Er schnürte sein Bündel und trottete in ausgelatschten Pantoffeln die noch schlafende Gasse entlang. In der dritten Straße kam er an einer Abfalltonne vorbei. Er schaute mit müden Augen hinein und fand ein rotes warmes Gewand, das er sich hastig überstreifte. Mit gebücktem Rücken ging er weiter. Er musste sich mittlerweile durch hohen Schnee kämpfen, denn hier war der Pfad noch nicht so ausgetreten. "Peng." Ein Schneeball hatte ihn direkt ins Gesicht getroffen. Es folgten lärmendes Kindergeschrei, ein Lachen, dann ein großer Schreck. "Peter spinnst du, jetzt hast du den Weihnachtsmann getroffen!" Besagter Peter begann kläglich zu weinen "Es gibt ihn doch, und ich hab gar nicht an ihn geglaubt und jetzt ist er bestimmt böse auf mich und ich bekomme keine Geschenke!" Die Mutter lächelte.
"Kommen Sie doch heute Abend bei uns vorbei... Gartenstr. 29, sagen wir 19 Uhr."
Karl war verdutzt und schaute die engelgleiche Frau ungläubig an. "Doch wirklich", sagte sie nun, "ich würde mich sehr freuen!" Als Karl sich am Abend dem Haus mit der Nummer 29 näherte, wehte ihm der köstliche Duft von Bratäpfeln entgegen. Die Tür war nur angelehnt und so trat er beherzt ein. "Da sind Sie ja, wir haben sie schon erwartet!" klang es aus der Küche. Es wurde eine lange Weihnachtsnacht mit unbeschwertem Lachen und besinnlichen Gesprächen. Karl hatte seinen Glauben wiedergefunden. An das Gute im Menschen. An das Positive im Leben und Werden. Und Peter wusste nun, dass er doch existierte - derjenige, den die Kälte fast auffrisst und der von ganz tief unten dennoch den richtigen Weg findet. Als sich Karl zum Gehen wand, legte sich ihm eine Hand auf die Schulter. "Bleiben Sie! Sie haben diesem Haus die Freude zurückgegeben. Peters Mutter hatte einen Anruf erhalten. Ihr Mann würde aus Bosnien zurückkehren und wäre auf der Suche nach einem lebenserfahrenen Geschichtenerzähler in der Bücherei in der Nähe der Kirche. So bekam Karl das Zimmer im Dachgeschoss. Karl, der sich früher so manche frostige Nacht unter der Brücke um die Ohren schlug, schrieb nun manchmal nächtelang in seinem warmen Stübchen. Ab und zu brachte Peter Schulfreunde mit nach Hause, die nur wegen Karl kamen um seine Geschichten zu hören. Diese Erkenntnis trieb Karl mehr als einmal Tränen der Rührung in die Augen, die er sich verstohlen wegwischte. Er lächelte über das ganze Gesicht und war unsagbar glücklich.
Und er erinnerte sich nur zu gern an den schicksalhaften Weihnachtsabend an dem die Sterne um die Wette strahlten.
In jener Nacht voller Erleuchtung. 
 ;)
 
 
 

Offline vreni

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24. Dezember
« Antwort #56 am: Dezember 24, 2004, 07:39 »
Janine feiert Weihnachten
Von Werner Wollenberger


Wann ist Weihnachten? Man sagt am 24. Dezember, am 25. vielleicht. Das habe ich auch immer geglaubt, bis jene Geschichte passierte, die ich jetzt erzählen möchte. Seither bin ich nicht mehr so sicher.
Die Geschichte nahm ihren Anfang im Sommer des Jahres 1958 in einem kleinen Juradorf. Das Juradorf war wirklich sehr klein - ein paar Häuser, ein Bäcker, zwei, drei Wirtschaften, eine kleine Schule, eine Kirche und ein paar Familien über die Hänge verstreut. Eine dieser Familien bestand aus einem jungen Ehepaar und einem achtjährigen Mädchen, nenne wir es Janine.
Janine war ein fröhliches Mädchen, aber in diesem Sommer begann es zu kränkeln. Es wurde apathisch, es war immer müde, es nahm nicht mehr an den Spielen seiner Gefährtinnen teil; es begann Kopfweh zu haben, es wollte morgens nicht mehr aufstehen; es war krank. Zuerst schien die Sache nicht sehr besorgniserregend; aber, nachdem Janine immer mehr zu klagen begann, ging die Mutter zum Arzt des nächsten größeren Dorfes. Der Arzt untersuchte sie und kam der Krankheit nicht auf die Spur.
So fuhr die Mutter denn eines Tages im September nach Basel und ließ Janine von einem berühmten Professor an der Universitätsklinik untersuchen. Der Bescheid, den Janines Mutter bekam, war erschreckend. Janine hatte Leukämie, eine Blutkrankheit, gegen die es auch heute noch kein Mittel gibt und die binnen kurzer Zeit zum sicheren Tode führt. Der Professor gab Janine höchstens noch zwei Monate zu leben. Die Mutter war verzweifelt. Sie beschwor den berühmten Arzt, sie bat ihn, sie fragte, was sie tun könne, und dem Arzt blieb nichts übrig, als ihr zu sagen, das einzige, was sie für Janine noch unternehmen könne, sei, ihr die letzten Wochen ihres Lebens so schön wie immer möglich zu machen. - Janines Eltern waren nicht reich, aber es ging ihnen nicht schlecht, und sie beschlossen, für Janine zu tun, was immer nur zu tun sei: mit ihr zu reisen, ihr die Schweiz zu zeigen, die Welt zu zeigen; sie mit Geschenken zu überschütten.
Aber Janine wollte von all dem nichts wissen. Sie wollte nicht reisen, sie wollte keine Geschenke haben. Sie hatte nur einen einzigen Wunsch, und das war: Weihnachten zu feiern. Sie wollte Weihnachten haben, und zwar wunderschöne Weihnachten, wie sie sich ausdrückte, Weihnachten mit allem, was Weihnachten zu Weihnachten macht. Das war der einzige Wunsch, der Janine nicht zu erfüllen war. Dezember rückte näher, der Vater wurde immer verzweifelter, und in seiner Verzweiflung vertraute er sich einem Freund, nämlich dem Lehrer des Dorfes, an. Zusammen kamen die Männer auf eine Idee. Der Vater ging nach Hause, mit gespielter Begeisterung erzählte er Janine, daß Weihnachten ausnahmsweise in diesem Jahre früher stattfinden werde, und zwar bereits am 2. Dezember. Janine war ein gescheites Kind und glaubte die Geschichte zunächst nicht; das heißt, sie hätte sie gerne geglaubt, aber sie konnte das gar nicht fassen. Nun, der Vater sagte, mit Ostern sei es ja auch so, und genauso sei es nun eben einmal mit Weihnachten. Die Idee schien dem Vater sehr gut; er hatte nur etwas dabei vergessen: Weihnachten ist ein Fest, das man nicht alleine feiern kann. Zu Weihnachten gehören die Weihnachtsvorbereitungen, das Packen der Paketchen, der Geschenke. Zu Weihnachten gehört als Vorbereitung, daß in den Geschäften die Geschenke ausgestellt sind, daß die Christbäume auf dem Dorfplatz aufgerichtet werden. Zu Weihnachten gehört die ganze Zeit vor Weihnachten, und zu Weihnachten gehört vor allem, daß alle es feiern.
Der Nächste im Dorf, der ins Vertrauen gezogen wurde, war der Bäcker. Und der Bäcker beschloß, seine Lebkuchenherzen dieses Jahr schon früher zu backen. Er beschloß auch, sein berühmtes Schokoladenschiff, das er jedes Jahr ausstellte, dieses Jahr schon früher ins Fenster zu stellen und aus den Schloten des Schiffes die Watte dampfen zu lassen. Und nun begannen die anderen Geschäftsleute des Dorfes, die sich zunächst gesträubt hatten - denn Weihnachten ist für Geschäftsleute nicht nur ein Fest, sondern eben auch ein Geschäft -, die Leute, die sich zunächst gesträubt hatten, begannen auch, ihre Weihnachtsvorbereitungen zu treffen.
Der Plan setzte sich immer fester in den Köpfen der Leute des kleinen Juradorfes. In der Schule wurde gebastelt; im Kindergarten wurde gebastelt; den Kindern wurde eingeschärft, daß Weihnachten dieses Jahr früher sei als in anderen Jahren, und es wurde überall gemalt, gebacken. Die Hausfrauen machten mit; die Väter gingen auf den Dachboden, holten die Lokomotiven und die Eisenbähnchen und begannen, sie neu zu bemalen oder auszubessern; Die Puppen wurden in die Puppenklinik gebracht. In dem kleinen Dorf setzten schon Mitte November ganz große Weihnachtsvorbereitungen ein. Der letzte Widerstand, der zu überwinden war, war der des Pfarrers: konnte er denn die ganze Weihnachtsliturgie vorwegnehmen? Er konnte es. Er setzte Weihnachten für den 2. Dezember fest.
Der 2. Dezember kam, und es wurde ein wundervolles Weihnachten für Janine, ein Weihnachtsfest wie in anderen Jahren. Die Sternsinger kamen, verteilten ihre Lebkuchen, Ihre Nüsse, ihre Birnen, und sogar aus dem Radio kam weihnachtliche Musik, kam „O du fröhliche“, kamen die Schweizer Weihnachtslieder, und daran war nicht das Radio schuld, daran war ein kleiner Elektriker im Dorf schuld, der eine direkte Leitung in das Haus Janines gelegt hatte und vom Nebenhaus her Platten abspielte, deren Musik nun direkt aus dem Lautsprecher kam.
Es war ein wundervolles Weihnachtsfest, und zwei Tage später starb Janine. Am 24. Dezember 1958 wurde in diesem kleinen Juradorf nicht mehr Weihnachten gefeiert.
 ;)

Offline Lies

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Re: Vorweihnacht
« Antwort #57 am: November 27, 2005, 12:42 »
Übrigens...wir haben eine Klasse Rechercheurin im Senioren-Team, die ging dem kleinen Baumwollfaden mal nach und hat den Autor gefunden.

Wenn man

http://www.ricardas-homepage.de/Dorothee/Geschichten/2/29.htm

glauben darf, ist sie von einem Herrn namens Josef Bauch.

geben wir ihm also die EHRE:

Lies
Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen
(Kant