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Autor Thema: 20. Dezember 2012  (Gelesen 520 mal)

Offline Oggy

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20. Dezember 2012
« am: Dezember 20, 2012, 06:03 »
Weihnachtsgeschichte für Rechtsanwälte


„Die letzten Mandanten für heute kommen gleich“, Frau Werner erinnerte Robert wie immer freundlich an die Termine. Robert sah auf die Uhr, es war kurz vor 16 Uhr. „Sie können ruhig schon nach Hause gehen“, bot Robert seiner langjährigen Mitarbeiterin an, „ich schaffe den letzten Termin schon alleine und Sie haben bestimmt noch Weihnachtsgeschenke zu besorgen.“ Frau Werner lächelte dankbar und verließ ihren Chef, nicht ohne das Geschirr noch in die Spülmaschine zu räumen. Frau Werner war eine treue Seele und Robert mochte sich sein Büro gar nicht ohne die sympathische Kollegin vorstellen.

Für einen kurzen Moment lehnte sich Robert in seinen Schreibtischsessel zurück und blickte verträumt zum Fenster hinaus. Der Park neben dem Geschäftsgebäude war tief verschneit und einige, wenige Spaziergänger stapften durch den Schnee. Die Straßenbeleuchtung war schon an und auch im Büro brannten alle Lichter. Robert war gerne Rechtsanwalt. Das wollte er schon als kleiner Junge werden. Später hatte er sich dann auf Ehescheidungen spezialisiert. Zwischendurch vertrat er zwar auch noch andere Fälle, aber das waren nicht viele im Jahr. Privat hatte Robert nicht so viel Glück. Er war selbst seit 2 Jahren geschieden, vielleicht auch einer der Gründe warum er gerade diesen Bereich für seine Arbeit gewählt hatte. Silvia und er hatten noch Kontakt über die Kinder, aber die waren schon erwachsen und so gab es immer weniger Berührungspunkte. Eine neue Beziehung hatte er nie wirklich gesucht, er vertiefte sich lieber in seine Arbeit. Soeben überlegte er, ob er sich einen Kaffee machen sollte, da läutete es an der Tür.

Herr und Frau Petersen traten ein oder sollte man lieber sagen noch Herr und Frau Petersen. Die beiden wollten sich scheiden lassen und nachdem es nicht viel zu regeln gab und man sich auch sonst einig war, beschlossen sie nur einen Anwalt zu nehmen. Robert liebte solche einfachen Fälle. Meist genügten ein oder zwei Termine, dann war Gerichtsverhandlung und die Ehe war im wahrsten Sinne des Wortes erledigt. Sie setzten sich an den Tisch und Robert begann mit den Formalitäten. Im Laufe des Gespräches bemerkte er, dass seine Klienten nicht besonders glücklich aussahen. Das war komisch, weil beide Ehepartner die Scheidung unbedingt wollten. Robert beschloss nachzuhaken, hatte er doch in den vergangenen Jahren einige Male erlebt, wie sich Eheleute nach der Scheidung wiedergefunden haben. Vielleicht gab es da noch was zu retten. Weihnachten stand vor der Tür. Die Petersens hatten zwar keine kleinen Kinder mehr, aber die bevorstehenden Feiertage machen nostalgisch und der Familiensinn wird aktiviert.

Besonders Frau Petersen hatte es ihm angetan. So wie sie ihren Mann ansah, also wenn das nicht Liebe war? Nachdem er Herrn Petersen eine Weile zugehört hatte, bemerkte Robert beiläufig, dass der Richter beim Scheidungstermin noch einmal nachfragen würde, ob die beiden wirklich geschieden werden wollen. Ein eindeutiges „Ja“ muss dann von beiden Seiten kommen. „Ja klar, wir sind uns doch im klaren oder nicht Helga?“, Herr Petersen sah seine Frau fragend an. „Ja natürlich, du hast entschieden so wie immer“, Frau Petersen schien den Tränen nahe. „Wie meinst du das, wir streiten seit Monaten und reden kaum mehr miteinander. Ich weiß nicht einmal genau, was die Gründe für unser Schweigen waren. Und dann kamst du mit dem anderen Mann daher, was sollte ich tun? Ich habe auch noch ein wenig Glück in diesem Leben verdient“, Herr Petersen rang um die Worte. Robert wollte schon einschreiten als Frau Petersen schluchzte: „Es war eine Affäre. Ich war einsam, ich habe gelitten und ich habe diese Beziehung zu dem Mann beendet, weil ich dich liebe. Du hast dich nie damit auseinandergesetzt, du warst nur in deinem Schmerz und jetzt sitzen wir hier und ich weiß nicht mehr, was ich will.“ Herr Petersen hielt die Hände verschränkt und blickte zum Boden. Mucksmäuschenstill war es in dem Raum. Robert räusperte sich und bot sich an, Kaffee zu holen. Die beiden nahmen dankbar an.

Robert ging hinaus und ließ die Türe einen Spalt offen. Er öffnete ein Fenster, er brauchte dringend frische Luft. Er hatte geahnt, dass da noch nicht das letzte Wort gesprochen war. In diesem Augenblick liebte er seinen Beruf mehr als je zuvor. Seine Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass Mann und Frau oft nicht bis zum Ende gehen und die gemeinsame Ehe einen Tick zu früh verlassen. Er dachte zurück an Helga und überlegte sich, ob es zwischen ihnen auch so gewesen war. Hätte seine eigene Beziehung noch eine Chance gehabt, die ungenutzt verpufft ist? Helga und er hatten nach der Scheidung niemals mehr über diese Dinge gesprochen. Robert drückte auf den Knopf des Kaffeeautomaten.

Die heiße Flüssigkeit duftete herrlich und als Robert mit dem Kaffee zurück in sein Büro kam, hielt Herr Petersen die Hand seiner Frau. Irgendetwas in dem Raum fühlte sich anders an. Frau Werner hatte wie jedes Jahr einen Adventskranz auf den Besuchertisch gestellt. Zwei Kerzen brannten und die Petersens sahen mit Tränen in den Augen in die Flammen. „Ich danke Ihnen, Sie haben uns die Augen geöffnet. Wir nehmen die Scheidung noch einmal zurück. Wir wollen erst Weihnachten abwarten, in guten und in schlechten Tagen, das haben wir uns vor langer Zeit versprochen. Wie konnte ich nur in schlechten Zeiten ans Weglaufen denken?“, dabei sah Herr Petersen seine Frau geknickt an. „Wir haben beide Fehler gemacht“, antwortete meine Klientin. „Es tut mir leid, dass wir Ihre Zeit umsonst in Anspruch genommen haben“, Frau Petersen wandte sich damit an Robert. Robert lächelte ein wenig in sich gekehrt: „Das haben Sie nicht. Sie haben mir das größte Geschenk gemacht, das man einem Anwalt nur machen kann. Das Weiterbestehen Ihrer Ehe. Wenn das kein Weihnachtswunder ist, dann weiß ich auch nicht!“ Damit konnte Robert den Petersens sogar ein Lächeln entlocken. Als der Kaffee getrunken war, bedankte sich das Paar und ging Hand in Hand hinaus.

Robert sah ihnen nach. Er würde nachher Silvia anrufen, einfach so, das hatte er schon lange nicht mehr getan. Er hatte plötzlich Sehnsucht nach einem friedlichen Weihnachtsfest und er begann, an Wunder zu glauben.
Gruß Oggy   DM 3c, HbA1c 5,9



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