Hallo
ich hab einige Zeit überlegt, ob ich Euch hier antworten soll, als Hausärztin, also "von der anderen Seite" her. Wie die meisten von Euch wissen, bin ich Ärztin für Allgemeinmedizin in Wien, mit Schwerpunkt Diabetes mellitus.
Und ja, Alf, wenn Dein Bekannter wegen eines "grippalen Infektes" angerufen hätte, hätte meine Sprechstundenhilfe laut Checkliste drei Fragen gestellt um abzuklären wie es ihm geht, und bei Unsicherheit an mich verbunden. Wenn er das Haus hätte verlassen können, wenn nichts auf ein akutes gefährliches Problem hingewiesen hätte, und wenn er imstande geschienen hätte, zu einem Arzt gehen, hätten wir ihn auch gebeten, sich an einen anderen Arzt zu wenden, weil unsere Ordination keine neuen Patienten mehr verkraftet.

Hintergrund: ich fürhre eine bewusst eher kleine Praxis am Stadtrand von Wien, mit ca 1000 Patienten, die wir regelmäßig betreuen, davon knapp 500 Diabetiker, vor allem Typ 2. Ich habe an den 5 Wochentagen Sprechstunde , die für 4 Stunden geplant ist und ca 5 1/2 Stunden dauert, mache ungefähr 25 Hausbesuche pro Woche, bekomme täglich ca 10 Labor-, und 30 sonstige Befunde (von Fachärzten, Röntgen, Spitals-Entlassungs-Befunde) zum Lesen und Bearbeiten, betreue meist ein bis zwei schwerst kranke Patienten und deren Angehörige mit fast täglichen Hausbesuchen palliativ (= mit dem Ziel Symptome zu lindern, nicht mehr zu heilen...), organisiere und halte den Arzt-Anteil an unseren Diabetes-Kursen und schlage mich mit viel Bürokratie, Buchhaltung usw rum - insgesamt ca 55 Stunden pro Woche.
Für mich der schönste Beruf der Welt, ich habe lange in Ambulatorien gearbeitet (und da zuletzt ca. das Doppelte verdient) und genieße es, meine Arbeit selbst gestelten, in "meinem Tempo" arbeiten und vor allem meine Mitarbeiter selbst aussuchen zu können!
Wenn ich nur 100 Patienten mehr annehme, kippt das System - das haben wir in den letzten Jahren schon zweimal erlebt. Da sind die Termine plötzlich nicht mehr einzuhalten, oder es entsteht die berüchtigte 3-Minuten-Medizin.
Denn mehr Patienten bedeuten eben auch mehr Befunde, Hausbesuche usw usw... und das führt unweigerlich zu schlechterer Qualität der Betreuung in jeder Hinsicht - weniger Zeit für den Patienten, nicht ausreichend genau angesehene Befunde mit all den daraus resultierenden Fehlerquellen.... ich bin nicht bereit, so zu arbeiten.
Es gibt eine bestimmte Menge an Patienten, die ich als Hausärztin verantwortungsvoll betreuen kann. Mehr geht nicht.
Natürlich sagt jeder, der anruft "aber ich hab doch NUR..." - bloß da nun nach Gutdünken den einen anzunehmen und den nächsten nicht, das geht gar nicht. Entweder wir können noch neue Patienten annehmen, oder eben nicht.
Das Ganze ist vor allem ein politisches Problem - aber ich fühle mich nicht dafür verantwortlich, dass zum Beispiel die Nachbar-Praxis, als sie vor 4 Jahren frei wurde, einfach nicht nachbesetzt wurde - und damals 1500 Patienten keinen Arzt hatten! (Natürlich haben wir in der Gegend das damals aufgefangen). So kann es nicht weiter gehen.
Ich denke, es muss ausreichen, dass ein Hausarzt 1000 Patienten betreut - und es muss eine Grenze dessen geben, was ich mir zumuten darf.
Daher werden wir leider auch dem nächsten Grippe-Patienten empfehlen, sich woanders hin zu wenden - und darauf hoffen, dass die Patienten deshalb möglichst viele heftige und gut begründete Beschwerden bie ihren Krankenkassen vorbringen!
Damit wir als Hausärzte unsere Patienten gut und nicht "irgendwie schnell schnell" betreuen können!
Susanne