Und es gibt doch einen WeihnachtsmannVon Rolf KonietzkyDie bunten Geschenkstapel unter dem Tannenbaum waren, wie sonst auch, so voneinander abgegrenzt, dass Alexander und Saskia bereits an Hand des ersten Namenschildes ausmachen konnten, welcher ihrer war. Da saßen sie nun und streiften voller Neugier und Spannung langsam die liebevoll drapierten Schleifen von den Päckchen. Ein freudiges Lächeln zeigte sich jedes Mal auf ihren Gesichtern, wenn sich die Gaben endlich unverhüllt im warmen Licht der Kerzen präsentierten.
Der Junge drehte die Sportschuhe in seinen Händen, drückte den Daumen auf die spitzen Nägel der Sohle. Sein Blick verriet dem Eingeweihten, dass er sich im Geiste woanders befand. Er rannte ein imaginäres Rennen, malte sich aus, mindestens eine Zehntelsekunde schneller zu sein als bisher.
Die Kleine blätterte in dem Schülerduden, der ihr in der Schule künftig hilfreich sein sollte und, dies sei hier besonders erwähnt, von ihr selbst ganz oben auf dem Wunschzettel vermerkt worden war. Ebenso die Plastikpuppe mit den langen, gelenkigen Gliedern und den poppigen Kleidern, die sie gleich darauf beglückt in ihren Händen hielt. Diese war, trotz der Unmutsbekundungen des Vaters ob der Schrecklichkeit jener Kreatur, vom Weihnachtsmann also doch nicht vergessen worden.
Auf dem Wunschzettel war eines jedoch nicht vermerkt; der große Affe mit dem langen, wuscheligen Fell aus dem Spielzeuggeschäft. Nur widerstrebend hatte Saskia diesen in das Regal zurückgestellt, nachdem ihre Mutter mehrfach zum Gehen aufgefordert hatte. Sie wusste, dass dieser Affe sehr viel Geld kostete, und sie hatte nicht den Mut gefunden, diesen als Wunsch in ihre Liste aufzunehmen.
Saskia hatte das letzte Geschenk aus seiner dekorativen Hülle befreit und schaut ihren Eltern zu, die nun ebenfalls begannen, ihre Geschenke auszuwickeln.
Ihr Lächeln täuschte nicht darüber hinweg, dass sie etwas vermisste. Etwas, dem sie eigentlich seit Monaten unterschwellig entgegenfieberte. Dabei hatte sie sich immer wieder klargemacht, dass dieser Wunsch sich nicht erfüllen konnte. Sie hatte ihn nicht auf den Wunschzettel geschrieben, also brauchte sie sich jetzt nicht zu wundern. Und einen Weihnachtsmann, der den Kindern Wünsche aus dem Herzen liest, gibt es eben nicht.
Gedankenverloren streichelte Saskia die possierliche Terrierhündin, die, den Weihnachtsknochen zwischen ihren Pfoten senkrecht gestellt, zufrieden knabberte.
Sie lauschte den einschmeichelnden Klängen aus dem Radio. Da war der kleine Trommler, der dem Jesuskind nichts weiter schenken konnte, als ein Lied auf seiner Trommel. Der Vater hatte ihr im letzten Jahr den englischen Text übersetzt, und es hatte sie gerührt. Auch jetzt füllten sich ihre Augen mit Tränen. Dabei wurde ihr plötzlich eigenartig warm, und das Herz begann heftig zu klopfen.
Verschwommen sah sie ein Paket auf dem Schoß ihres Vaters, und dann hörte sie in weiter Ferne ihren Namen sagen. "Das ist ja gar nicht für mich", vernahm sie nun deutlich die Stimme. "Das ist noch für dich, Saskia!" -Und im gleichen Augenblick warf er das große, weiche Paket in ihre Arme.
Das kleine Mädchen vergrub ihren Kopf darin. Sie wusste, was das Papier verbarg, und ihr war klar, dass es doch einen Weihnachtsmann geben musste. Sie sprang auf, hielt das Paket fest an sich gedrückt und warf sich in die Arme des Vaters...
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