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Autor Thema: Vorweihnacht  (Gelesen 6462 mal)

Offline vreni

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13. November 2004
« Antwort #30 am: Dezember 13, 2004, 07:24 »
Der Weihnachtsmann bekommt einen Brief von Beutel, Christel


Es ist die Nacht vor dem Heiligen Abend. Der Weihnachtsmann steht auf einer
besonders dicken Wolke am Himmel und packt gerade seinen großen Schlitten
voll Geschenke für all die braven Kinder in der Welt. Auch für euch, liebe
Kinder.
Noch einmal geht er seine Liste durch, ob er auch niemanden vergessen hat:
"Anna, Mitja, Ayshe, Carmen, Monique, Fabio, Ron, Mikel, Sven..."
Ein Engelchen fliegt zu ihm und schwenkt einen Brief von der Erde:
"Weihnachtsmann, hier hast du ein Kind im alten Jugoslawien vergessen!"
Der Weihnachtsmann setzt seine goldene Brille auf die Nase und brummt ab und
zu: "Hm, hm" und "Tja..." und dann scheint er etwas ratlos. Er hat ja schon
viele Wunschzettel gesehen. Da wollen Kinder eine Puppe - fünfzig
verschiedene hat er schon verpackt, Parkhäuser und Autos werden gewünscht,
Eisenbahnen und Fahrräder, Schlittschuhe, Bücher, ja sogar Computerwünsche
sind dabei. Aber das hier sind ganz andere Wünsche.
Der neugierige Engel zupt den alten Mann am Bart und sagt: "Nun lies doch
endlich vor, ich möchte wissen, was das kleine Mädchen geschrieben hat."
Und der Weihnachtsmann liest laut:

"Lieber Weihnachtsmann! Ich heiße Vesna und wohne in einem Ort bei Sarajewo.
Ich bin acht Jahre alt und kann noch nicht so richtig schreiben. mein Papa
ist nicht mehr aus dem Krieg heimgekommen, meine Mama hat immerzu geweint.
Sie hat einen schlimmen Husten, weil es so kalt bei uns ist, den der Wind
pfeift durch die Schusslöcher in den Wänden. Unsere Nachbarn geben uns von
ihrem Essen ab, aber sie haben doch selbst so wenig.
Und bald ist Weihnachten. Ich weiß, dass du meinen Wunsch nicht erfüllen
kannst, dass Papa wieder lebendig wird, aber vielleicht machst un Mama
gesund. Und dann habe ich noch einen riesengroßen Wunsch. Und den kannst du
erfüllen, weil du ja vom Himmel bist:
Ich will schnell groß werden und mir ein Haus backen aus Zimtsternen,
Marzipan, Bonbons und Schokoladenstreusel. - So groß, dass alle Mütter mit
ihren Kindern darin wohnen können und immer zu essen haben. Und ich hätte
gern die Kraft, die Soldaten zu verzaubern in Könige, wie die Weisen aus dem
Morgenland und kein Krieg soll sie finden können. Der Krieg findet dann ohne
sie statt, aber es ist ein friedlicher Krieg, weil jeder Freude ins Herz
kriegt. Da gibt es keine Soldaten, die schießen. Die Gewehre müssen sich
biegen, wenn sie in der Bratröhre neben den Weihnachtsäpfeln heiß werden.
Rund geformt, tauchen die Kinder sie in Lauge und pusten bunte
Seifenblasenkugeln in die Welt. Ja, dann erst sind alle glücklich und
lachen. Lachen so laut, dass es bis zu euch an den Himmel tönt. Die Bomben
werden dann im Schnee erfrieren, aber die Sonne verzaubert sie in Blumen:
Schneeglöckchen und Himmelsschlüssel. Ja, wenn ich groß bin, bringe ich
Glück aufs Papier, dass es alle lesen üssen, um nie wieder zu weinen.
Höchstens Tränen aus Freude. Die werde ich sammeln und sie an die Fenster
der Kranken regnen lassen, damit sie wieder gesund werden.
Kannst du mir helfen, meinen Wunsch zu erfüllen?
Deine Vesna."

Der Weihnachtsmann ist still geworden. Vor gut 50 Jahren hatte er schon mal
so einen ähnlichen Brief aus Deutschland bekommen. Er schaut nachdenklich
auf den Berg Spielsachen, den er mit seinem Schlitten auf die Erde bringen
will. Wie gern würde er den Frieden mit in seine Pakete packen, aber Liebe
und Versöhnung tragen die Menschen nur in sich selbst. Sie müssen einfach in
ihren Herzen danach suchen, sie in schöne Worte verpacken und einem anderen
schenken. Ein Weihnachtsmann kann das weder in der himmlischen Werkstatt
noch auf der Erde kaufen.
Für Vesnas Mama packt er einen Hustensaft ein. Aber wie soll er dem Kind
helfen? Da fällt ihm das Sandmännchen ein, dem er einen besonderen Auftrag
gibt.
Das holt sofort sein Säckchen und streut dem Mädchen jetzt extra viel
Traumsand in die Augen und schenkt ihm all diese friedlichen, wunderschönen
Wunschträume, damit es, wenn es groß ist, sich daran erinnert und sie
aufschreibt. Wenn sie von jedem gelesen werden und ihr Kinder diese
Geschichte nicht vergesst - wer weiß - vielleicht kriegt man Freude ins Herz
und besinnt sich, damit dann wirklich mal Friede auf der ganzen Welt sein
wird. Nicht nur zu Weihnachten, sondern immer!
Und jetzt liebe Kinder, freut euch auf Weihnachten und eure Geschenke - und
träumt was Schönes.


Dieses Märchen wurde 1996 in der Sächsischen Zeitung veröffentlicht.



 ;)
 
 
 

Offline Joerg Moeller

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Die Nacht mit Weih davor
« Antwort #31 am: Dezember 13, 2004, 11:26 »
Es war die Nacht mit Weih davor
Die Ente schlief im Ofenrohr
Fast alles ist genau wie immer
Selbst Opa furzt im Herrenzimmer

Nur: so still war es hier noch nie
Was ist gescheh'n, was frag' ich Sie?

Das ganze Haus steckt voller Leute
Doch niemand ist zu hören heute
Liegt's vielleicht an der Weihenacht?
Nein... Mama hat sie umgebracht!

Im Festtagstrubel heute Morgen
Ist sie mal kurz verrückt geworden
So hat sie dann ganz ungeniert
Die ganze Sippe ausradiert

Ne Tasse Rattengift in' Stollen
Den gab's zum Fruehstueck für den Ollen
Noch zweimal kurz nach Luft geschnappt
Dann gab er schon den Löffel ab

Der Oma dann 'ne Stunde später
Nen kleinen Sprengsatz ans Katheter
Noch nicht mal fertig ausgeschissen
Hat sie's beim letzten Druck zerrissen

Dann Tante Ruth, die dicke Kuh,
Kam in den Kühlschrank, Klappe zu
Die Nachbarn wollten nur was fragen
Die wurden gleich noch mit erschlagen

Danach mit Säge, Axt und Feile
Den Onkel Heinz in kleine Teile
Zum Schluss die Kinder, 's war schon spät
Nach Bosnien als Care-Paket

Nur Opa sitzt noch am Kamin
Und laesst besinnlich einen zieh'n
Doch plötzlich fragt er sich ganz leise:
Es ist so still, was soll die Scheisse?

Er macht sich auf und geht zur Mama
Die sitzt grad' in der Speisekammer
Hackt aus dem Dackel Rehragout
Der Opa sagt verdutzt: Nanu?

Du hast ja alle tot gemacht.
Was hast du dir dabei gedacht?
Ach weisst du, spricht sie reuevoll
Ich hatte halt die Schnauze voll

Vom vielen Krach, vom Weihnachtssegen,
Vom Kochen, backen, waschen, legen,
Vom Gänsebraten aus der Truhe
Ich wollte einfach meine Ruhe

Der Opa bleibt gewurzelt stehen
Und sagt: Ich kann dich gut verstehen
Denn, mal privat, unter uns beiden:
Ich konnt' die andern auch nie leiden

Mein Kind, das hast du gut gemacht
Ich wuensch Dir frohe Weihenacht!

(C) O. Kalkofe

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Offline vreni

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Re: Vorweihnacht
« Antwort #32 am: Dezember 13, 2004, 13:42 »
huchh....

Offline vreni

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14. Dezember
« Antwort #33 am: Dezember 14, 2004, 07:27 »
Einhandsegler
Lied von R. Mey

Du hast die Leinen losgeworfen mit einem Wort
Alle Ketten, aller Ballast gehen über Bord
Hast einen Strich gezogen, deinen Kurs bestimmt
Ins Logbuch eingetragen und das Ruder getrimmt
Du bist aus dem Hafen auf das offene Meer freigekommen
Der Wind fällt in die Segel, und du hast Fahrt aufgenommen
Dein Bug spaltet die Wellen, und pfeilschnell zischt
Dein Boot über die Kämme, und es fliegt die Gischt
Dein Kielwasser säumt schäumend deine Bahn
Einhandsegler auf dem Ozean

Verlassen von allen guten Geistern
Das Spiel mit den Fluten meistern
Allein in einem zerbrechlichen Kahn
Einhandsegler auf dem Ozean

Die Strömung ist gefährlich, die Untiefe nicht weit
Du musst kreuzen gegen Dummheit und den Geist der Zeit
Die See wird rauh und kabblig, wenn du es wagst
Zu widersprechen, wenn du aufstehst und die Wahrheit sagst
Da ist keine stille Bucht, da ist kein schützendes Ufer
Niemand in der Wasserwüste hört den mahnenden Rufer
Dass du recht hast, werden sie dir nie verzeih'n
Und dann stürzen alle Wetter zugleich auf dich ein
Zähl' nicht auf Schönwetterfreunde im Orkan
Einhandsegler auf dem Ozean

Verlassen von allen guten Geistern
Das Spiel mit den Fluten meistern
Allein in einem zerbrechlichen Kahn
Einhandsegler auf dem Ozean

Du siehst Wellen und Wolken, und du siehst kein Land
Da draussen liegt dein Los allein in deiner Hand
Du hast den Funk abgeschaltet, du brauchst sie nicht mehr
Die echten Heuchler, die falschen Klugen, die blinden Seher
Du musst nicht mit ihnenum ihre gold'nen Kälber tanzen
Egal, wie sie sich über dich das Maul zerfransen
Niemand steht über dir - aber auch niemand steht dir bei
Das ist ein hoher Preis, doch dafür bist du frei!
Du bist niemands Herr und niemands Untertan
Einhandsegler auf dem Ozean

Verlassen von allen guten Geistern
Das Spiel mit den Fluten meistern
Allein in einem zerbrechlichen Kahn
Einhandsegler auf dem Ozean
 ;)


Offline Joerg Moeller

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Aller guten Dinge sind drei
« Antwort #34 am: Dezember 14, 2004, 12:20 »
(Reinhard Mey)

Der Wecker fiept, halb sieben,
Unheil nimm deinen Lauf
Der Große muß zur ersten Stunde
Los steh' auf
Und mach leise, daß nicht gleich
Der Mittlere aufwacht
Der kann noch schlafen
Rums, die erste Türe kracht
Die Diele knarrt, die Spülung rauscht
Und überdies
Ist die Kleine aufgewacht
Und schreit wie am Spieß
Ich setz sie auf den Topf
Sie ist ganz rot vor Wut
Ich schmier dem Großen schnell ein Pausenbrot, mach's gut
Vergiß den Turnbeutel nicht
Der Mittlere kommt ran
Lauf hier nicht barfuß rum
Los, zieh dir Puschen an
Ich seh grad zu wie mein Toast in Flammen aufgeht
Da hat die Kleine ihren Topf samt Inhalt umgedreht
Und stürzt sich auf mich mit einem Freudenschrei
Aller guten Dinge sind drei.

Ich hab den Mittleren zu Schule gebracht
Und verwische die Spuren der Haselnußcremeschlacht
Dies ist die Zeit
Wo ich an meinen Schreibtisch kann
Die Kleine malt mein Bein
Mit einem Filzstift an
Und erledigt während eines kurzen Telefonats
Durch Zerreissen die gesamte Post des Vormonats
Der Große kommt nach Haus
Und macht ein langes Gesicht
Alle Kumpels ha'm Computer
Nur er wieder nicht
Die Kleine pinkelt auf den Teppich
Die bringt mich ins Grab
Vorher hol ich noch den Mittleren
Von der Schule ab
Dann gibts Mittag und nen Streit
Wer's erste Fischstäbchen kriegt
Bis die Tränen fließen
Und es auf der Erde liegt
Die Kleine nießt mich an
Und hat den Mund voll dabei
Aller guten Dinge sind drei

Ich nötige sie zum Mittagsschlaf
Jetzt hätt ich etwas Zeit
Der Große beichtet mir seine Geschichtsarbeit
Und jetzt hat er drei Chaoten zum Spielen bestellt
Nicht so laut
Doch als der erste Stuhl umfällt
Ist die Kleine wach
Der Mittlere schluchzt, ich denk
Ich soll zum Kindergeburtstag
Und hab noch kein Geschenk
Die Kleine steckt sich erstmal
Eine Erbse ins Ohr
Der Doktor ist ein Freund
Und nimmt uns rasch mal vor
Ich kauf schnell ein Geschenk
Und geb den Mittleren ab
Komm schweißgebadet raus
Ich glaub ich mache schlapp
Der Autoschlüssel ist weg
Wie kommt ich jetzt nach Haus
Nur widerwillig spuckt die Kleine
Ihn dann doch noch aus
Ein Nachbar grüßt
Na sieh hab'n wohl immer frei
Aller guten Dinge sind drei

Zu Hause setzt bereits
Der Abendwahnsinn ein
Die Kleine rollt sich gleich
Mit hohen, spitzen Schreien
In einen Vorhang ein
Zu einem dicken Ball'n
Und läßt sich samt Gardine
Auf den Boden fallen
Beim Großen dröhnt ohrenbetäubende Musik
Ey Alter, bleib ganz cool,
Ich übe Mathematik
Der Mittlere kommt vom Geburtstag
Mit dem Rekord im Negerkußwettessen
Und er übergibt sich sofort
Der Große und die Kleine krieg'n
Ne Stulle aufs Brett
Der Negerkußwettesser eine
Schüssel vors Bett
Zwei Einschlafgeschichten
bei jedem von den Dreien
Ich selber schlafe direkt
bei der Tageschau ein
Ich schlepp mich ins Bett
Die Füße schwer wie Blei
Aller guten Dinge sind drei

Meine Frau lächelt mir zu
Na, überleg es dir
Vielleicht sind aller guten Dinge
Ja auch ...
Ich breche zusammen, nein
Es bleibt dabei
Aller guten Dinge sind drei.
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Offline Klaus.

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Re: Vorweihnacht
« Antwort #35 am: Dezember 15, 2004, 07:23 »
Hallo Vreni,

der kleine Baumwollfaden hat mir besonders gut gefallen. Das bringt doch etwas Wärme in diese dunkle Zeit. Ich habe den Text in meine Weihnachtsmail übernommen, die ich Freunden und Geschäftsfreunden zugeschickt habe. Ich hoffe die Geschichte gibt manchen Mut und die Zuversicht doch nicht nutzlos zu sein.

Viele Grüße

Klaus

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Re: Vorweihnacht
« Antwort #36 am: Dezember 15, 2004, 10:07 »
Hallo Klaus
Das freut mich natürlich sehr. Vielleicht gefällt dir die nächste Geschichte auch. Auch hast Du mich auf eine Idee gebracht. diese Geschichte nächstes Jahr im Geschäft zu verschicken zusammen mit einem Teelicht. Danke.
e gueti Zit wünsch ich Dir

Offline vreni

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15. Dezember 2004
« Antwort #37 am: Dezember 15, 2004, 10:13 »
Der Eimer

Ein Wasserträger in Indien hatte zwei große Eimer; sie waren an den beiden Enden einer Stange befestigt, die der Mann quer über die Schultern trug. Einer der beiden Eimer war geborsten. Während der makellose Eimer nach dem langen Fußweg vom Fluss zum Haus seines Dienstherrn immer ein volles Quantum Wasser ablieferte, kam der geborstene Einer jedes Mal halb leer zu Hause an.

Zwei volle Jahre ging das so. Tag für Tag brachte der Wasserträger nur eineinhalb Eimer Wasser mit nach Hause. Natürlich war der heile Eimer stolz auf seine Leistungen - er erfüllte seinen Zweck perfekt. Der arme, geborstene Eimer dagegen schämte sich wegen seiner Unvollkommenheit; er war unglücklich, weil er nur die Hälfte dessen leisten konnte, wozu er gemacht war. Nach zwei Jahren seines jämmerlichen Versagens fasste er sich eines Tages ein Herz und sprach den Wasserträger am Fluss an. "Ich schäme mich fürchterlich", begann er, "und möchte mich bei dir entschuldigen." "Wofür denn?", fragte der Wasserträger." Warum schämst du dich?" "Ich kann meinen Inhalt nur zur Hälfte abliefern. Durch einen Riss in meiner Seite tropft auf dem ganzen Weg zum Haus deines Herrn Wasser aus mir heraus. Du musst so schwer arbeiten und bekommst wegen mir nicht einmal den vollen Lohn für deine Mühe", erwiderte der Eimer.

Dem Wasserträger tat der alte, geborstene Eimer Leid, und mitfühlend sagte er: "Wenn wir gleich nach Hause gehen, möchte ich, dass du dir die schönen Blumen am Weg anschaust." Während sie bergauf stiegen, bemerkte der kaputte Eimer, wie die Sonne auf schöne, wild wachsende Blumen am Wegesrand schien. Das stimmte ihn ein bisschen fröhlicher. Zu Hause angekommen, wurde er aber wieder traurig., weil er unterwegs die Hälfte seines Inhalts verloren hatte. Er entschuldigte sich noch einmal bei dem Wasserträger dafür, dass er versagt hatte. Doch der antwortete: "Hast du nicht bemerkt, dass nur auf deiner Seite des Weges Blumen wachsen, nicht aber auf der Seite deines Kollegen? Ich kenne ja deine defekte Stelle und habe sie genutzt, indem ich auf deine Seite des Weges Blumen gesät habe. Tag für Tag auf dem Heimweg vom Fluss hast du diese Blumen begossen. In den vergangenen zwei Jahren habe ich immer wieder wunderschöne Blumensträuße gepflückt und damit den Tisch meines Herrn verschönert. Wenn du nicht genau so wärst, wie du bist, hätte sein Haus niemals so wunderbar ausgesehen."

aus Indien

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Offline Angelika

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Re: Vorweihnacht
« Antwort #38 am: Dezember 15, 2004, 19:10 »
diese "vorweihnachtliche" Rubrik ist toll, es gibt ja so viele "nettes Geschreibsel" zur Adventzeit. Besinnliches und lustiges - toll diese kleinen Geschichtchen.  :)
@ Jörg - das Lied von Reinhard Mey kenn' ich und find' es immer wieder gut. Ich hab zwar keine Kinder, aber ich kann mir das Megachaos sooo gut vorstellen. Er hat ja noch so ein Lied über ein Kind, leider kann ich mir den Titel nicht merken . Er sinniert da, was er eigentlich getan hat, bevor das Kind da war - ist auch richtig lieb
lg Angelika

im Chat als Zuckerengel

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16. Dezember
« Antwort #39 am: Dezember 16, 2004, 07:57 »
Yvonne Habenicht
Ein Engel auf Erden

Paul hatte sich gleich gefragt, ob er für die Aufgabe wirklich der Richtige sei. Aber bitte, wenn sie es nicht anders haben wollten… Oberengel Vincent war schließlich der Leiter des Projekts, das sich „Engel auf Erden zur Weihnacht“ nannte, und wenn der meinte, Paul solle als Weihnachtsengel hinunterfahren, so tat er es eben. Im Allgemeinen wurden ja als Weihnachtsengel eher zarte, blondlockige Mädchen gesandt, deren bloßer Anblick schon ein Wohlgefallen war, und nicht dickbäuchige männliche Engel mit schütte-rem Haar. Obendrein war Paul schon zu Lebzeiten extrem schusselig gewesen, was ihn schließlich auch das Leben gekostet hatte, als er sich im Labor irgendein kräftiges Gift statt des Süßstoffs in den Kaffee gekippt hatte.
Beim Durchqueren der dicken Wolkendecke und dem anschließenden Flug durch heftiges Schneegestöber war Paul nicht ganz wohl zu Mute, und er hätte Vincent allzu gern verflucht, wenn sich das für Engel nicht streng verboten hätte. Als Erdwesen war er nie schwindelfrei gewesen, und er war noch nicht lange genug Engel, um diese Eigenschaft gänzlich abgelegt zu haben. Die Sicht war schlecht, selbst für einen Engel. Mit einem kräftigen Plumps landete er schließlich auf der Spitze eines Kirchturms, aus dem ihm ohrenbetäubendes Glockengeläut den Kopf dröhnen ließ.
Ehe er noch Zeit fand, sich nach einem besseren Platz umzusehen, hatte sich vor der Kirche schon eine große Schar Gläubiger versammelt und starrte zu dem rundlichen Himmelsboten hinauf. Der Priester und die Mönche des angrenzenden Klosters kamen herbeigeeilt, und alsbald erscholl ein vielstimmiges Hallelu-ja-Geschrei zu ihm herauf. Nun dachte sich Paul, da es schließlich seine Aufgabe sei, die frohe Weihnachtsbotschaft zu verkünden und die Menschen zu erfreuen, sei dies der geeignete Ort und Augenblick. Er setzte zum Fluge an und segelte – zugegebenermaßen ziemlich plump - herunter, wo er würdigen Schrittes, von der erregten Menge gefolgt, die Kirche betrat. Der Organist hieb und trat enthusiastisch in die Orgel, vergriff sich auch vor Erregung kräftig in den Tönen, was der großartigen Erscheinung eines leibhaftigen Engels in der Kirche aber keinen Abbruch tat.
Vom Priester, Abt, Ministranten mit weit aufgerissenen Augen und weichen Knien gefolgt, ging Paul auf den Altar zu, wo er Flügel und Arme ausbreitete. Die Gläubigen fielen auf die Knie, auf seinen Segen hoffend. Wie gesagt, Paul war ein noch nicht sehr erfahrener Engel. Noch nie hatte er einen Segen erteilt oder eine Predigt gesprochen. Im Erdenleben hatte zwar ab und zu die Kirche besucht, die Predigten allerdings meist verschlafen.
„Valus, primus, sancta cruzcius, selectus!“, rief er mit heiserer Stimme. Wenigstens ein wenig Latein hätte man ihnen im Himmel beibringen können. Selbst die Lateinkundigen unter den Kirchgängern waren viel zu hingerissen von dem Erlebnis, um auf die Worte zu achten. Dem Priester jedoch klappte der Mund auf, und er starrte den Himmelsboten ziemlich verdattert an. Paul aber kam in Fahrt.
„Liebe Menschen“, rief er aus, „mein himmlischer Projektleiter, der heilige Vincent, hat mich bestimmt, euch die weihnachtliche Botschaft zu überbringen.“
Spätestens beim „himmlischen Projektleiter“ fuhren bei einigen Ministranten und jugendlichen Anwesen-den verstohlen die Hände vor die Münder.
Unbeirrt fuhr Paul fort: „Seht, geradewegs in eure Kirche bin ich gekommen, um euch zu zeigen, dass wir Engel immer unter euch sind. Heute bin ich für euch ausnahmsweise sichtbar, doch meist schleichen wir unsichtbar zwischen euch herum und passen auf, dass euch nichts geschieht. Nachdem ihr mich nun ge-sehen habt, erzählt allen, dass es wirklich Engel gibt. So, nun habe ich noch viel zu tun auf der Erde, denn ich will mich noch vielen Leuten zeigen.“
Sodann patschte er dem Priester die Hand auf den Kopf und sagte: „Wie dieser hier, gehet nun in Frieden heim zu Frau und Kind, esst und trinkt, lasst es euch wohl sein mit meinem Segen.“
Des Priesters Gesicht lief dunkelrot an, angesichts der Engelsworte, er solle zu Frau und Kind heimkeh-ren. Während nun doch einige sich krampfhaft auf die Lippen bissen, deutete er die Worte so, dass der Engel ihm zeigen wollte, dass er wisse, wie der Priester gegen das Zölibat verstoßen und heimlich mit der Haushälterin ein Kind gezeugt hatte.
„Vergib, vergib, ich werde beichten und mein Amt niederlegen“, murmelte er kaum hörbar.
„Na fein“, meinte Engel Paul, schritt aus der Kirche und flog davon.
Den genauen Ablauf seines Erdenfluges hatte er in seiner üblichen Schusseligkeit längst vergessen. Aller-dings stellte sein bloßes Erscheinen ohnehin jede Planung in den Schatten. Die lang gesuchten Juwelen-diebe Hannes und Stefan ließen vor dem Juweliergeschäft ihr Einbruchswerkzeug fallen und ergriffen schreiend die Flucht, als sie des Engels ansichtig wurden. Dem Engel, dem keine Tür verschlossen war, kam daraufhin die Idee, mit einigen schönen Stücken aus dem Schaufenster Menschen eine Freude zu machen. Als ihm auf der stillen Fußgängermeile ein verträumtes Liebespärchen begegnete, gab er ihnen unversehens seinen Segen und legte dem zitternden Mädchen eine hochkarätige Kette um den Hals. Bevor sich die zwei noch von dem Wunder erholt hatten, erschien Paul am Tisch der ahnungslosen Familie Köh-ler. Als der beleibte Engel seine leuchtenden Hände hob und das Weihnachtsmahl segnete, verschluckte sich Vater Köhler an einem Gänseknochen. Die Kinder verkrochen sich angstvoll unter dem Tisch, und der alte Kater schielte böse und sträubte fauchend das Fell. Für den mühsam nach Luft ringenden Vater musste der Notarzt geholt werden.
Engel Paul jedoch gedachte nun der Kranken und erschien im städtischen Krankenhaus, wo der Chirurg vor Schreck prompt den eigenen Zeigefinger statt des vereiterten Blinddarmfortsatzes des Patienten ab-schnitt. Auch trug es später nicht zum guten Ruf des Krankenhauses bei, dass die ohnmächtige Ober-schwester im Bett eines sehr attraktiven Patienten gefunden wurde.
Eine Frau, in deren Küche er erschien, um der fleißigen Köchin als erster der Familie seinen Weihnachts-segen zu spenden, ließ prompt den heißen Topf auf den neuen Küchenboden fallen, wo er eine hässliche Brandstelle hinterließ. Der Frau sagte man zukünftig nach, sie sei eine heimliche Trinkerin, nachdem sie den Schaden mit dem Erscheinen eines Engels begründet hatte.
Der Bürgermeister fiel zähneklappernd auf die Knie und gestand all seine Sünden, angefangen von den Reisen auf Steuerkosten bis hin zu der Beteiligung an zahlreichen Bauspekulationen, als Paul an seinem Tisch die Flügel ausbreitete und „Frohe Weihnacht, üb immer Treu und Redlichkeit!“ deklarierte.
Der Armen gedenkend, führte Engel Paul schließlich ein Heer von Obdachlosen in ein Nobelrestaurant, und während die Kellner zitternd auf die Knie fielen und die Gäste teils erbebten, teils die Hände falteten, gab er den Frierenden, Hungernden und Durstenden seinen Segen, sich an allem, was Küche und Bar hergaben, gütlich zu tun. Das Chaos, welches er hinterließ, lässt sich kaum in Worte fassen.
Bevor er jedoch noch weitere gute Taten anrichten konnte, kam aus himmlischen Höhen eine starke Hand, packte ihn im Genick und zog ihn schnurstracks in die Ewigkeit zurück.
In der von Paul heimgesuchten Stadt jedoch blieb dieses Weihnachtsfest unvergessen. Die Gläubigen, die sein Erscheinen in der Kirche erlebt hatten, gerieten später in heftigen Streit. Einige glaubten fest an die Erscheinung, andere hielten das Ganze für einen bösen Streich. Der Priester, der unter dem Eindruck des Engels seine Untugend bekannt hatte, wurde exkommuniziert.
Das Pärchen aus der Fußgängerzone wurde wegen Einbruchs und Diebstahls verhaftet. Die Behauptung des Mädchens, ihr sei ein Engel erschienen, der ihr die Kette umgelegt habe, trug zwar nicht zu ihrer Ent-lastung bei, aber zu mildernden Umständen infolge mangelnder Zurechnungsfähigkeit.
Dem Familienvater musste der verschluckte Knochen operativ entfernt werden, so dass er sogar das Neu-jahrsfest noch bei Suppendiät im Krankenhaus verbrachte.
Dem Chirurgen konnte man zwar den Finger wieder annähen, doch zur Weihnachtszeit rührte er nie wie-der ein Skalpell an.
Die noble Gaststätte musste nach dem üppigen Gelage der Obdachlosen in der Heiligen Nacht gänzlich renoviert, das Mobiliar teilweise erneuert werden. Die Obdachlosen dagegen schwelgten noch lange in Erinnerungen an das großartige Festmahl jener Weihnacht, in der der Engel erschien.
Bei den Juwelendieben führte die Begegnung mit dem Engel zu einer unerwarteten Wandlung. Sie gründe-ten eine freikirchlische Gemeinschaft mit dem Namen „Brüder des Engels“ und führten von da an ein untadeliges, frommes Leben.
Vincent wurde der weihnachtlichen Projektleitung enthoben, und nachdem er Pauls Chaos auf der Erde mit „der verdammte Idiot gehört auf die letzte Wolke“ kommentiert hatte, wurde er auch wegen Fluchens für einige Zeit in die Hölle als Heizer strafversetzt.
Paul ließ man jedoch nie mehr auf die Erde. Er wurde zum Putzen der Schneewolken abkommandiert und jeweils zur Weihnachtszeit unter strengster Beobachtung gehalten.

 ;)