Autor Thema: Diskussion über Hypo mit Bewusstlosigkeit und Pumpe  (Gelesen 8134 mal)

Offline cat

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Hallo,

ich bin heute Vormittag in eine Diskussion verwickelt worden. Die Frage war, wie ein Arzt (z.B. Notarzt) handeln soll, wenn er einen bewusstlosen Pumpenträger mit Hypoglykämie vor sich hat.

Die meisten (darunter auch ein Arzt) waren davon überzeugt, dass der Arzt den Katheter rausreißen sollte und danach Glucose intravenös geben sollte. Grund: wenn er die Pumpe weiter laufen lassen würde und irgendwelche Hirnschäden auftreten würden, dann hätte der Arzt ein Haftungsproblem.

Ich bin aber der Meinung, dass der Arzt die Pumpe schon weiter laufen lassen und einfach nur Glucose i.v. geben sollte. Mir fallen auf Anhieb einige Gründe dazu ein, aber mich würde interessieren wie ihr über die Sache denkt.

Schöne Grüße! :huepf:

Offline Llarian

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Re: Diskussion über Hypo mit Bewusstlosigkeit und Pumpe
« Antwort #1 am: Juli 09, 2008, 21:42 »
Meine Meinung ist auch, er sollte sie weiterlaufen lassen. Zieht er den Katheter, ist auch bei Analoga eine Insulinrestwirkung über etwa 2 Stunden zu erwarten... bis sich das auf die Hypo auswirkt, dauerts. Zieht er den Katheter und gibt Glukose, hat er nach Abklingen der Restwirkung des Insulins eine Insulinlücke, die durch das voraussichtliche zuviel an Glukose noch verstärkt wird. Das arme ohnehin schon hypogebeutelte Schwein hat danach also eine saftige Hyper mit Resistenz, die er möglicherweise noch einige Tage mit sich herumschleppt, und das vollkommen unnötigerweise. Zieht er den Katheter und gibt aber parallel Insulin i.v., weil er das besser steuern kann, ist das etwas anderes, weil dann die Zufuhr nicht unterbrochen wurde.
Was war denn die Fachrichtung des Arztes?

Grüße
Anja

Offline cat

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Re: Diskussion über Hypo mit Bewusstlosigkeit und Pumpe
« Antwort #2 am: Juli 09, 2008, 23:02 »
Hallo!

Danke Anja, das waren unter anderem auch meine Argumente.

Was war denn die Fachrichtung des Arztes?

Das war ein Internist (allerdings nicht in Richtung Diabetologie, sondern Richtung Darm), es war aber auch eine Diabetesberaterin bei der Diskussion mit dabei. Deswegen hatte mich das Ganze doch etwas verunsichert. Denn ein weiteres Argument der „Gegenseite“, das mich etwas ins Schwanken gebracht hatte war, dass es nach der Glucose-Infusion noch einige Zeit dauert, bis das Gehirn wieder genügend Zucker bekommt. Solange würde die Gefahr bestehen, dass man durch eine weitere Zufuhr von Insulin die Hypo noch verstärken könnte und dadurch das Gehirn schädigen könnte.

Außerdem meinte die Diabetesberaterin noch, dass jede Unterzuckerung zu einer Insulinresistenz führen würde und der Tag dann in Bezug auf die Werte sowieso schon gelaufen wäre. Eine Hyperlykämie würde an der Resistenzlage dann auch nichts mehr ändern. Ist mir da etwas entgangen? Ich dachte bis jetzt immer, dass nur Hyperglykämien zu einer Resistenz führen (von einer Down-Regulation mal abgesehen). :kratz:

:naechtle:

Offline unknown

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Re: Diskussion über Hypo mit Bewusstlosigkeit und Pumpe
« Antwort #3 am: Juli 09, 2008, 23:40 »
Ich glaube das es ziemlich egal ist ob der Arzt den Katheter kappt oder nicht in einer Unterzuckerung bei der Fremdhilfe.
Von den Auswirkungen ("Fremdhilfe") ist der Tag so wie so gelaufen.

Gruß

Norbert

Offline Llarian

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Re: Diskussion über Hypo mit Bewusstlosigkeit und Pumpe
« Antwort #4 am: Juli 09, 2008, 23:59 »
dass es nach der Glucose-Infusion noch einige Zeit dauert, bis das Gehirn wieder genügend Zucker bekommt. Solange würde die Gefahr bestehen, dass man durch eine weitere Zufuhr von Insulin die Hypo noch verstärken könnte und dadurch das Gehirn schädigen könnte.
Wenn er dann die Insulinzufuhr schnell genug wieder aufnimmt, bevor eine ernstzunehmende Lücke entsteht...?

Zitat
Außerdem meinte die Diabetesberaterin noch, dass jede Unterzuckerung zu einer Insulinresistenz führen würde und der Tag dann in Bezug auf die Werte sowieso schon gelaufen wäre. Eine Hyperlykämie würde an der Resistenzlage dann auch nichts mehr ändern. Ist mir da etwas entgangen? Ich dachte bis jetzt immer, dass nur Hyperglykämien zu einer Resistenz führen (von einer Down-Regulation mal abgesehen). :kratz:
Es gibt auch eine posthypoglykämische Resistenz, die aber, wenn ich mich richtig erinnere, nicht bei allen oder nicht immer auftritt. Nach einer Unterzuckerung, die so schwer war, daß sie Fremdhilfe erforderte, ist aber noch einiges im Ungleichgewicht und ich würde eher davon ausgehen, daß auch erneut Hypos entstehen können, u.a., weil auch das Adrenalin erst wieder "aufgefüllt" werden muß, eine sich anbahnende Hypo würde also u.Umständen nicht oder nur atypisch bemerkt werden. Die nächsten 24h sollte dann jemand mit Ahnung ein Auge drauf haben können, Alleinlebende werden dann auch gern einen Tag stationär zur Beobachtung da behalten. Etwas häufigeres Messen und nicht hinters Steuer setzen, sind dann Dinge, die man selbst im griff haben sollte.

Grüße
Anja

Offline Joerg Moeller

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Re: Diskussion über Hypo mit Bewusstlosigkeit und Pumpe
« Antwort #5 am: Juli 10, 2008, 10:50 »
Die meisten (darunter auch ein Arzt) waren davon überzeugt, dass der Arzt den Katheter rausreißen sollte und danach Glucose intravenös geben sollte. Grund: wenn er die Pumpe weiter laufen lassen würde und irgendwelche Hirnschäden auftreten würden, dann hätte der Arzt ein Haftungsproblem.

Das ist korrekt. Ich würde den Kath. auch ziehen.
1. weil ich nicht wissen kann ob die Förderung der Pumpe (BR, temp. BR, verzögerter Bolus) korrekt ist
2. weil ich nicht wissen kann ob das korrekte Insulin enthalten ist (z.B. U100 in einer auf U40 eingestellten Pumpe)
3. weil ich nicht wissen kann ob die Hypo durch einen Defekt der Pumpe ausgelöst wurde.
4. weil ich nicht wissen kann ob die Hypo durch suizidale Absichten entstanden ist

Also: Kath. raus, Glucose i.v. rein und dann ggf. mit Insulin i.v. gegensteuern.
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Offline Llarian

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Re: Diskussion über Hypo mit Bewusstlosigkeit und Pumpe
« Antwort #6 am: Juli 10, 2008, 12:10 »
Das ist korrekt. Ich würde den Kath. auch ziehen.
1. weil ich nicht wissen kann ob die Förderung der Pumpe (BR, temp. BR, verzögerter Bolus) korrekt ist
2. weil ich nicht wissen kann ob das korrekte Insulin enthalten ist (z.B. U100 in einer auf U40 eingestellten Pumpe)
3. weil ich nicht wissen kann ob die Hypo durch einen Defekt der Pumpe ausgelöst wurde.
4. weil ich nicht wissen kann ob die Hypo durch suizidale Absichten entstanden ist
Von Punkt 4 mal abgesehen... wie wahrscheinlich ist das heutzutage? Welche Pumpe kann vom Patienten auf U40 gestellt werden? Welche der modernen Pumpen können Punkt 1 oder 3 erfüllen? Ich habe vor kurzem eine Artikelserie von 1993 von Teupe und Bergis im DiabetesJournal gelesen, bei der Vorstellung der Pumpenmodelle sind zwar bei den Modellen im historischen Abriss noch solche Probleme denkbar, gerade die H-Tron hat aber neue Sicherheitsmaßstäbe gesetzt und selbst die ist inzwischen veraltet. Wenn die Hypo, die den Arzt braucht, durch die Pumpe ausgelöst wurde, dann heutzutage eher, weil das ursächliche Problem hinterm Display saß - sprich Anwenderfehler. Das wäre dann entsprechend Punkt 4... nicht in der Intention, aber hinsichtlich der Ursache.

Grüße
Anja

Offline Joa

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Re: Diskussion über Hypo mit Bewusstlosigkeit und Pumpe
« Antwort #7 am: Juli 10, 2008, 12:13 »
dass es nach der Glucose-Infusion noch einige Zeit dauert, bis das Gehirn wieder genügend Zucker bekommt. Solange würde die Gefahr bestehen, dass man durch eine weitere Zufuhr von Insulin die Hypo noch verstärken könnte und dadurch das Gehirn schädigen könnte.
Wenn er dann die Insulinzufuhr schnell genug wieder aufnimmt, bevor eine ernstzunehmende Lücke entsteht...?
Das entstehen einer ernstzunehmenden Lücke braucht ja auch ein paar Stunden. Solange der Patient nicht in der Lage ist, selber Entscheidungen zu treffen, sollte die Versorgung mit Glukose/Insulin eh durch die Notfallmedizin gedeckt werden. Wenn der Patient wieder selber entscheiden kann, sollte er als Pumpenträger dann eigentlich auch ausreichend geschult sein, die nötigen Maßnahmen selber zu erkennen und einzuleiten.
Wenn er das nicht kann, ist eh Hopfen und Malz verschimmelt.

Zitat
Außerdem meinte die Diabetesberaterin noch, dass jede Unterzuckerung zu einer Insulinresistenz führen würde und der Tag dann in Bezug auf die Werte sowieso schon gelaufen wäre. Eine Hyperlykämie würde an der Resistenzlage dann auch nichts mehr ändern. Ist mir da etwas entgangen? Ich dachte bis jetzt immer, dass nur Hyperglykämien zu einer Resistenz führen (von einer Down-Regulation mal abgesehen). :kratz:
Nicht jede Unterzuckerung führt zu einer Resistenz. Gemeint ist da der Somogyi-Effekt
http://de.wikipedia.org/wiki/Somogyi-Effekt
der dann eintritt wenn es zu einer schweren Unterzuckerung, so etwa  =< 40 mg/dl kommt. Dann tritt die letzte Stufe Nr. 6 der Gegenregulation in Action
http://www.uni-duesseldorf.de/MedFak/insulinoma/mainpage/subpage/physiol_counter.htm#counter
Das Ausmaß der resultierenden Resistenz hängt mit der Dauer und tiefe der Hypo-Episode zusammen. Grundsätzlich ist die Resistenzdauer aber recht übersichtlich, etwa um 6 Stunden rum. Sehr ähnlich wie bei einem unzulänglich insulinierten Dawn oder Aufstehphänomen.

Eine Resistenz aufgrund einer Hyperglykämie gibt es dagegen gar nicht. Wenn, dann handelt es sich da um eine Resistenz in der Folge eines längeren, basalen Insulinmangels, der eine "Lipolyse" bewirkt. In der Folge der "Lipolyse" entsteht dann eine extra- und intrazelluläre Fettsäurenresistenz.
Ohne eine gezielte Korrektur (siehe Schema B), kann diese Fettsäureresistenz sehr zäh anhaltend sein.

Gruß
Joa
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Offline Llarian

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Re: Diskussion über Hypo mit Bewusstlosigkeit und Pumpe
« Antwort #8 am: Juli 10, 2008, 12:23 »
Das entstehen einer ernstzunehmenden Lücke braucht ja auch ein paar Stunden.
Also bei mir (Humalog) reichen 3 Stunden aus, mich locker auf 450 zu schießen. Dann auch schon mit anderen deutlichen Symptomen.

Grüße
Anja

Offline Ufuk

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Re: Diskussion über Hypo mit Bewusstlosigkeit und Pumpe
« Antwort #9 am: Juli 10, 2008, 13:37 »
Das entstehen einer ernstzunehmenden Lücke braucht ja auch ein paar Stunden.
Also bei mir (Humalog) reichen 3 Stunden aus, mich locker auf 450 zu schießen. Dann auch schon mit anderen deutlichen Symptomen.

Grüße
Anja


Stimme ich auch zu, bei mir eine Stunde ohne Insulin heißt 90mg/dl hoch.
Das ganze mal 3, 270mg/dl plus 100mg/dl die sein sollte also 370mg/dl hätte ich wenn es über 3 Stunden herum liegen würde.   :kotz:  Plus Keto +++ das Kotzerei, Durst und auch wenn ich danach mit Korrigieren ins 100mg/dl bereich komm.
Dann gehts mir erfahrungs gemäß so mieß das kann ich nicht zur Wort bringen.
Ich hoffe mir der artigen Fall nie zu erleben und den anderen leuten auch nicht.
Ich hätte den Pumpe nicht abgeklemmt sondern Glukose infussion und sofort ins nächste Krankenhaus.

Weiß eigentlich nicht welches davon Gefährlicher sein würde.
Mit hohem Blutzucker ins Krankenhaus eingeliefert zu werden oder
Mit sehr niedrigen Blutzucker ins Krankenhaus eingeliefert zu werden.
Mein Doc sagte beides ist schlimm.
Aber er würde aufpassen auf zu hohem Blutzucker.
Des wegen soll man sein Diabetes verdammt ernst nehmen.

Gruß
Ufuk