Ich folge an dieser Stelle der in diesem Thread mehrfach angeklungenen Philosophie, dass ein gewisses Umdenken erforderlich ist - das wird leider in der Werbung nur schlecht vermittelt, dort wird das Libre als 1:1 Ersatz zu den einzelnen BZ-Messungen vermarktet. Letztendlich ist es ein eigenständiges Meßsystem, das eben nicht 1:1 vergleichbar ist.
Hierzu habe ich inzwischen auch Literatur gefunden:
Discrepancies Between Blood Glucose and Interstitial Glucose—Technological Artifacts or Physiology: Implications for Selection of the Appropriate Therapeutic Target
Thorsten Siegmund, MD, Lutz Heinemann, PhD, Ralf Kolassa, MD, Andreas Thomas, PhD
Journal of Diabetes Science and Technology
Vol 11, Issue 4, pp. 766 - 772
First published date: March-21-2017
10.1177/1932296817699637
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Abstract
Background: For decades, the major source of information used to make therapeutic decisions by patients with diabetes has been glucose measurements using capillary blood samples. Knowledge gained from clinical studies, for example, on the impact of metabolic control on diabetes-related complications, is based on such measurements. Different to traditional blood glucose measurement systems, systems for continuous glucose monitoring (CGM) measure glucose in interstitial fluid (ISF). The assumption is that glucose levels in blood and ISF are practically the same and that the information provided can be used interchangeably. Thus, therapeutic decisions, that is, the selection of insulin doses, are based on CGM system results interpreted as though they were blood glucose values.
Methods: We performed a more detailed analysis and interpretation of glucose profiles obtained with CGM in situations with high glucose dynamics to evaluate this potentially misleading assumption.
Results: Considering physical activity, hypoglycemic episodes, and meal-related differences between glucose levels in blood and ISF uncover clinically relevant differences that can make it risky from a therapeutic point of view to use blood glucose for therapeutic decisions.
Conclusions: Further systematic and structured evaluation as to whether the use of ISF glucose is more safe and efficient when it comes to acute therapeutic decisions is necessary. These data might also have a higher prognostic relevance when it comes to long-term metabolic consequences of diabetes. In the long run, it may be reasonable to abandon blood glucose measurements as the basis for diabetes management and switch to using ISF glucose as the appropriate therapeutic target.
Eigene Zusammenfassung (Fehler auf dieser Ebene daher bitte nicht den Autoren anlasten...), meine Anmerkungen/Assoziationen sind in Klammern () gesetzt:
Die Autoren beschreiben Unterschiede zwischen Glukosewerten aus (kapillar-) Blut respektive Zwischenzellwasser:
Blut transportiert Glukose über längere Strecken zu den einzelnen Bereichen des Körpers, Zwischenzellwasser transportiert Glucose erheblich kleinräumiger zu den Zellen, ist also dichter am "Verbraucher" dran. Der kapillar gemessene Blutzuckerwert stellt daher eine Referenzgröße über die aktuell im Blut verfügbare Glukose dar. Die im Zwischenzellwasser gemessene Glukosekonzentration ist von den lokalen Umständen abhängig: Diffusionsqualität an der jeweiligen Stelle (Ich errinnere mich an die mehrfach erwähnten Erfahrungen mit niedrigen Werten beim Libre wenn der Träger auf dem Sensor liegt) und Glukosebedarf der lokalen "Verbraucher" und wird, gerade in Aktion, lokal differieren. (Damit werden auch die Einschränkungen der verschiedenen Systeme in Bezug auf Tragstellen verständlich.) Daher ändert sich die Glukosekonzentration im Zwischenzellwasser langsamer als im Blut, zumal im Blut die Durchmischung höher ist.
Bei stabilem Glukosehaushalt (horizontaler Pfeil über einen längeren Zeitraum, von den Autoren beziffert als Änderung unter 1-2 mg/dl pro Minute) liegen bei entsprechender Kalibrierung im Blut gemessene Glukosewerte dicht an den im Zwischenzellwasser gemessenen.
Die verbreitete Annahme sei nun, daß bei aktivitätsbedingten Abweichungen relativ schnell wieder eine Angleichung der mit den verschiedenen Systemen gemessenen Werte stattfindet, und daher der Diabetiker die unterschiedlichen Messmethoden nicht weiter differenzieren muss. Hier wiedersprechen die Autoren: Es dauere länger die Glukosevorräte im Zwischenzellwasser aufzufüllen (selbst wenn im Blut bereits ein höherer BZ vorliegt, heißt das noch lange nicht, das das auch im ZZW angekomen ist), und die im Zwischenzellwasser gemessenen Werte sind unter verschiedenen Umständen niedriger als die im Blut gemessenen. Aufgeführt werden Sport, Leber während der Phasen der Glukoseeinlagerung und Freisetzung, und PP-Werte:
Beschrieben wird am Beispiel einer Messreihe während eines Fahrradmarathons daß während und nach der Aktivität aufgenommen KH zwar große Ausschläge im kapillar gemessenen Blutzucker zur Folge hatten, im ZZW jedoch kaum als solche wahrnehmbar waren. Eine Korrektur auf Basis des hohen gemessenen Blutzuckers wäre an dieser Stelle problematisch, der im Zwischenzellwasser gemessenene Wert legte eine Korrektur gar nicht erst nahe.
Auch in der Erholungsphase zeigte der Blutzucker deutlich höhere Abweichungen nach oben als der per Sensor im ZZW gemessene. Hierfür wurde die Glykogenolyse der Leber verantwortlich gemacht. Dies wurde auch für Phasen beschrieben, in denen die Leber nach Hypoglykämien Glukose freisetzt.
Für den Fall, daß die Leber (und Skelettmuskeln) ihre Glykogenvorräte auffüllen müssen, erscheint ein pp-Anstieg im ZZW ebenfalls überproportional niedriger als im Kapillarblut, da (von mir etwas salopp formuliert) die von der Leber "abgegriffene" Glucose im ZZW nie ankommt, im Kapillarblut aber noch nachweisbar ist.
Folgerungen für mich:
- PP Werte differieren (je nach Aktivität mehr oder weniger heftig) zwischen kapillarer Messung und CGM/FGM Sensor
- In der Erholungsphase nach Aktivität kann dies bedingt durch die Ausschüttung der Leber ebenfalls auftreten, dies wurde auch für Phasen beschrieben, in denen die Leber nach Hypoglykämien Glukose freisetzt.
- Für den Fall, daß Leber und Muskeln ihre Glykogenvorräte auffüllen müssen, erscheint ein pp-Anstieg im ZZW ebenfalls niedriger als im Kapillarblut, das sozusagen den Glukosepegel "vor Abzug aller Verbraucher" darstellt.
- Die Abweichung kennt nur eine Richtung: die kapillare BZ-Messung produziert unter den genannten Umständen höhere (teilweise erheblich höhere) Werte.
D.h. die von mir (an mir) aufgezeichneten Abweichungen zwischen Blutzucker und gescannten Werten des Libre sind wohl größtenteils (wenn nicht sogar komplett) mit stoffwechselphysiologischen Vorgängen erklärbar. Fehlerhafte Sensoren gibt es sicherlich auch, aber ich nehme nach dieser Lektüre an, dass so mancher Sensor zu Unrecht verdächtigt wurde. Hier dauert es vermutlich noch eine Weile, bis der allgemeine Informationsstand (und die Bewertung der Meßergebnisse) die Unterschiede in der Meßmethodik einbeziehen.