Ein Glücksstern
Nach Kriegsende konnten wir uns im zerstörten Dresden keine zwei getrennten Wohnräume mehr leisten. Also hatten wir im Oktober 1946 geheiratet und mein Mann zog mit Aktentasche, Reissbrett und gewendetem Soldatenmantel zu mir in meine Mansardenkammer von 7 Quadratmetern. Zur Einrichtung zählte ein Eisenbett, ein eintüriger Kleiderschrank, ein Stuhl und eine Kommode. Leider gab es keinen Herd, keinen Ofen und auch keinen Wasseranschluss. Der einzige Luxus in den Flitterwochen war eine Gemeinschaftstoilette auf der Etage. Was solls? Wenn man jung und verliebt ist, überwindet man die täglichen Probleme mit Humor.
An den arbeitsfreien Wochenenden verbrachten wir die kalten Tage in einer geheizten Kirche, im Kino, im Bahnhofscafe oder im Bett. Mit dem Esbitkocher kochten wir uns an den Adventssontagen Haferbrei mit Zucker bestreut, oder schleimige Nudeln aus alten Wehrmachtsbeständen. Mehr gab das kleine Flämmchen auch nicht her. Dafür hatten wir Spass beim Essen. Da wir nur ein Besteck hatten, stocherte der Eine mit der Gabel und der Andere fischte mit dem Löffel im Topf herum. Fast täglich gingen wir zum Wohnungsamt und acht Tage vor Weihnachten bekamen wir endlich eine Zuteilung. Zwei kleine Bodenkammern mit einem Notofen und Waschbecken in einer von Bomben beschädigten Arztvilla wurden uns angeboten.
Halleluja, jetzt kann es Weihnachten werden, jubelten wir. Am nächsten Tag zogen wir das Beste aus dem kleinen Kleiderschrank an und putzten unsere Schuhe auf Hochglanz. So standen wir vor der Haustür der Arztvilla, der das halbe Dach fehlte.
Ein Studentenehepaar kam ihnen gerade recht und am 1. Januar könnten wir einziehen. Die Arztfrau muss die Enttäuschung in unseren Gesichtern bemerkt haben. Na, ja, meinte sie verlegen, die Handwerker dichten noch das Dach ab und der ganze Schutt müsse noch vom Boden geräumt werden. Aber wenn wir mit anfassen, könnten wir auch sofort einziehen. Wir hüpften vor Freude und Begeisterung. Ja das machen wir doch gerne, wenn wir nur nicht mehr frieren müssen!
So gingen wir am nächsten Tag nach meiner Arbeit hin und schleppten in Eimern den Schutt in den Hof, rührten Kalk mit Sägespäne an und strichen die Wände. Meine Chefin schenkte uns eine Liege und einen Stuhl. Von der Arztfrau bekamen wir einen Tisch, Kochgeschirr und Brennholz vom zerbombten Dach. Als ich am 24. Mittags meine Arbeit verlassen wollte kam mein Chef, wünschte mir Frohe Weihnachten und gab mir ein geschlachtetes Huhn und einen halben Stollen. Von meiner Schwester auf dem Land, lachte er. Ich konnte mein Glück kaum fassen und hüpfte vor Freude zu unserem neuen zu Hause.
Dort überraschte mich mein Mann mit frischen Tannenzweigen, etwas altmodischen und verstaubten Christbaumschmuck, 5 Kartoffeln und ein paar Plätzchen. Das ist von meinem alten Professor, dem ich sein Fahrrad geflickt habe, freute sich mein Mann. Jetzt kann es Weihnachten werden! Wir quietschten vor Freude und umarmten uns. Ich kümmerte mich um das Essen und mein Mann bastelte aus den Tannenzweigen ein kleines Bäumchen, das wir fein schmückten. Als es dann dunkel wurde und der Duft von Tannengrün und dem Brathuhn auf dem Notofen durch die warme Kammer zog, zündeten wir eine Kerze vor unserem Bäumchen an und schauten lange in Gedanken in das kleine flackernde Flämmchen.
Wir ließen uns das Hühnchen schmecken und als dann später die Kirchenglocken zu läuten begannen, öffneten wir das kleine Bodenfenster, sahen in den funkelnden Sternenhimmel und nahmen uns glücklich ganz fest in die Arme. Das war unser erstes gemeinsames Weihnachtsfest. All die vielen Jahre danach habe ich nie wieder so ein Glücksgefühl erlebt, wie in dieser Stunde.
Frei nach Ruth Ballhaus