Ich hatte lange Zeit keinen Schwebi aufgrund der Gründe, die Anja genannt hat: Ich hatte Angst, dass ich am Theater als Spielleiter Schwierigkeiten bei der Stellensuche bzw. der Vertragsverlängerung bekomme nach dem Motto, der Kerl muss funktionieren und nicht seine Krankheit pflegen. So kam es, dass es während meiner neun Jahre am Theater niemand, wirklich niemand wusste oder ahnte. Preis dafür natürlich eine entsprechend schlechtere Einstellung (Hba1c: 7,4 - 8,2), denn Unterzuckerungen mussten ebenso vermieden werden wie Spritzen und Messen in der (Theater-)Öffentlichkeit.
Auch nachdem ich mich beruflich umorientierte und mein Referendariat als Gymnasiallehrer machte, kam es mir nicht in den Sinn, einen Ausweis zu beantragen. Warum auch? Ich ging jetzt offen mit der Krankheit um, begann intensiv Sport zu treiben, fühlte mich 150% leistungsfähig (und mein Hba1c sank seitdem, seit 2005 auf Werte zwischen 6,2 und 6,8).
Nach dem Referendariat wollte ich eine Stelle an (m)einer Traumschule in Hamburg antreten und musste zur amtsärztlichen Untersuchung. Hier ist die Angabe des Diabetes selbstverständlich Pflicht und mich beschlich die Angst, eventuell nicht verbeamtet zu werden (und knapp 1000 Euro Netto weniger zu verdienen samt schlechterer Gesundheits- und Altersabsicherung). Hier stieß mich der Amtsarzt wieder auf den Schwebi: Wenn ich den hätte, müsste er nur die nächsten - ich meine es waren 12 - Jahre begutachten (Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit einer Frühverrentung, wieviel Dienstausfall ist zu erwarten?). Ohne Ausweis hingegen ginge die Prognose bis zur Pensionierung, was für ihn selbstverständlich viel schwerer abzuschätzen sei. Zudem ständen mir doch auch Stundenermäßigungen zu. Mit dem Hinweis, falls er mich jetzt ablehnen würde (was von meinen noch nicht vorliegenden Laborwerten abhänge), könnte ich nach Einstufung als Schwebi dagegen Einspruch einlegen entließ er mich.
Da die Laborwerte der vorherigen zwei Jahre samt und sonders gut waren, wurde ich auch ohne Schwebi verbeamtet, habe dann aber, unmittelbar nach Dienstantritt diesen beantragt. Jetzt bin ich der mit weitem Abstand "fitteste" Kollege der gesamten Schule (Wer ist schon so bescheuert und läuft 100 km am Stück, macht einen Ironman und hängt den gesamten Sport-LK beim Mountainbiken in den Bergen ab?), aber habe eine Stundenreduktion von 1,5 Wochenarbeitszeitstunden. Meine Angst, dass mir jemand das neidet, ist völlig unbegründet, vielmehr herrscht, insbesondere in der Schulleitung die Meinung, dass mir das mehr als zustände und dass die Zeiten, in denen ich (jeder) Entlastung bräuchte, früh genug kämen. Und wenn ich durch diese Entlastung zu diesem Zeitpunkt nicht so ausgebrannt wäre wie andere, könnten sie von meiner Arbeit länger profitieren.
Mir ist klar, dass das nicht die gängige Haltung in allen Bereichen der Berufswelt ist, aber im Nachhinein denke ich oft, wie blöd ich war, mich am Theater nicht zu meinem Diabetes zu stehen: Das hätte mir sehr gut getan, insbesondere weil die damals zwangsläufig schlechten Werte mich psychisch durchaus belastet haben, ich wusste ja um den Raubbau an meiner Gesundheit. Und vielleicht hätte auch ein Schwebi keine große Rolle gespielt, einfach weil ein engagierter und belastbarer Bewerber sich präsentierte ...
Von daher mein Plädoyer: Mut zum Schwebi, manchmal hilft er auch!
Viele Grüße,
Andreas